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Rudolf Stingel

19.08.–15.10.1995

In seiner ersten Einzelausstellung in der Schweiz bezieht sich Rudolf Stingel, ein in New York lebender Südtiroler, der ebenso einen Schweizer Pass besitzt, unmittelbar auf die architektonischen Gegebenheiten der Kunsthalle Zürich. Dabei wendet er seine Malpraxis nicht nur auf der traditionellen Leinwand an, sondern setzt gleichzeitig die Wand als unmittelbaren Bildträger ein.

Rudolf Stingel ist ein Maler, der Mittel und Methoden seiner Malerei transparent macht, veröffentlichte gar eine seine Bildprozesse dokumentierende Anleitung. In ihr zeigt er, summarisch hier festgehalten, wie er Schritt für Schritt eine Bildlösung vorantreibt, die Farbe und ihre Menge bestimmt, sie sorgfältig durchmischt bis eine gleichförmige Streichmasse entsteht, wie mit dem Pinsel eine dicke Schicht Ölfarbe gleichmässig auf eine (Leinwand)-Fläche aufgetragen wird, wie mit Hilfe eines Spachtels ein Tüllschleier auf die frische Farbschicht angedrückt, teilweise mit Silberfarbe gleichmässig besprüht und schlussendlich der Tüll behutsam abgezogen wird.

Die Darlegung der technischen Grunddisposition entzaubert sozusagen die oft zum Geheimnis des Schöpfers stilisierte Entstehung eines Bildes. Stingel versagt sich und dem Betrachter mittels analytischer Distanznahme pathetischer Illusionismen und betreibt in seiner reduziert-schillernden Malerei sozusagen eine Entmystifikation des abstrakten Tafelbildes, dabei die Liebe zur Malerei wahrend. Vor seinen Bildern stehend, kommt nie der Gedanke an demonstrative Systematik auf, denn sie sind von subtilem sinnlichen Reiz. Jeglicher Tüllfalt etwa hinterlässt weniger eine Störzone auf einem puristischen Bildkörper als vielmehr eine potentiell gestisch lesbare Spur, dem Zufallsprinzip gehorchend. Gerade die Wiederholung der lakonischen Arbeitsweise in vielfältigster Neuschöpfung hält leichtfüssig und beharrlich zugleich Auge und Kopf für weitreichende Dimensionen frei. Ambivalent wurzeln sie in faktischer Materialität und brechen ins Atmosphärisch-lmaginäre, in Stimmungsräume auf, den Betrachter aber auf die Bildoberfläche behaftend.

Die erhellenden Wechselwirkungen von Tafelbildern, die unabhängig vom Kontext ihrer Präsentation existieren, und der direkten Einbindung von Malerei vor Ort und auf Zeit, kann auch als Konsequenz von bildnerischen Erfahrungen gesehen werden, mit denen sich Stingel vom Malhandwerk im Atelier entfernt hatte. So schaffen etwa weiche monochrome Teppichflächen insbesondere an Wänden irritierende Farbzonen im Realraum. Dem Gebrauchscharakter und Wahrnehmungskonventionen entzogen, wird der Teppich zur reinen Präsenz von Farbe, die nun im Lichte der Kunst als ein Substitut monochromer Wandmalerei erfahrbar wird. Ein helles, grelles Gelb strahlt in der Kunsthalle in seiner ganzen physischen Ausdehnung in den Raum, wobei das Schimmern des synthetischen Flors die psychedelisch werdenden Farbwirkungen in den Bereich des Banalen zurücknimmt. Man kann sich dieser kolossalen Projektionsfläche, die insbesondere durch die Intimität von Papierarbeiten kontrastiert wird, auch taktil annähern, wo die Gesten des Berührenden kaum sichtbar verzeichnet werden, wiederum weggestrichen durch Gesten von Anderen.