«Out of the sea, wish I could be part of that world» singt Ariel im Film The Little Mermaid. Dabei ist die Präsenz der Meerjungfrau schon lange Teil «unserer» Welt und der Disney-Film-Klassiker nur eine von vielen Darstellungsformen, in denen die Figur der Meerjungfrau innerhalb des kulturellen Gedächtnisses auftaucht. Sei es das Starbucks-Logo, an dem wir in der Stadt vorbeischlendern, oder ein Armband mit einer Meerjungfrau als Anhänger. Das Fabelwesen ist Bestandteil unserer Popkultur.
Aber auch thematisch lässt sich die Figur in aktuellen gesellschaftspolitischen Diskursen wiederfinden. Beispielsweise kann die Meerjungfrau durch eine queere Linse gelesen werden, da sie weder Fisch noch Frau, sondern etwas dazwischen ist.
Ähnliche Verhandlungen zur ambivalenten Figur, die passenderweise gelegentlich mit zwei Fischschwänzen dargestellt wird, und somit Schönheit und Monstrosität vereint, lassen sich in der Ausstellung if you follow the river long enough finden. Das Kurator:innenteam bestehend aus Angela Fusco, Mira Tyrina und Olga Popova will die konventionelle Erzählweise der Meerjungfrau hinterfragen und öffnet Diskussionen über den Körper, Queerness und die Bedeutung des Wassers in unterschiedlichen Kulturen.
Zu Beginn gibt eine Wand bestückt mit Bildern einen ersten Einblick in die ambivalente Erzählweise um das Fabelwesen. Zum einen werden Meerjungfrauen stark sexualisiert, wie es beispielsweise die Malerei zeigt. Gefälschte Artefakte, die als echte Funde bezeichnet wurden, obwohl es sich um zusammengenähte Tiere handelt, weisen auf die monströse Seite der Darstellungsmöglichkeiten hin. Mit diesem Einstieg wird man sich dieser Ambivalenz bewusst, wodurch man als Besucher:in nachvollziehen kann, warum es diese Konventionen aufzubrechen gilt.
Belegt mit einem schimmernden blauen Tuch, wird die ungenutzte Rolltreppe im ehemaligen Kaufhaus Teil der Ausstellung. Dabei wirkt sie wie ein Fluss, der vom oberen Stockwerk hinunterfliesst. Die Einbindung wirkt nicht nur stimmig, sondern schlägt auch eine visuelle Verbindung zur Videoperformance von Seba Calfuqueo. Das Filmmaterial befindet sich schräg gegenüber der Rolltreppe und wird auf eine Leinwand projiziert. In diesem Werk sieht man Calfuqueo selbst ein blaues Tuch durch den Wald ziehen. Die Falten, die im Licht hell aufleuchten, erinnern dabei an leichte Wellen. Wie die Treppe im Saal, bildet auch das Tuch im Video einen metaphorischen Fluss, der am Ende des Videos mit einem echten Fluss vereint wird, als Calfuqueo sich bei einem Wasserfall wiederfindet. Die Videoperformance Tray Tray Ko fokussiert sich auf die Bewegungen des Wassers, aber auch des Körpers. Wie Calfuqueo selbst über die Arbeit schreibt, zeigt sich hier eine Reflektion über den Körper innerhalb der Naturgewalt.
Der offen gestaltete Ausstellungsraum wird ebenfalls in seinem Klang spürbar, denn während man sich mit den Werken befasst, hört man aus einem der Räume sanfte Töne. Sie stammen aus dem Musikprojekt [After her Destruction] von Lila-Zoé Krauß, und wie eine Sirene ziehen sie einen in den Bann, wecken das Interesse nach dem, was sich hinter dem dunklen Vorhang verbirgt. Dort finden sich drei Bildschirme, die die Geschichte um Girl zeigen. Es geht um soziale Normen, Mutationen und Schönheit. Themen, die sich ebenfalls in der Figur der Meerjungfrau finden.
Die Ausstellung if you follow the river long enough bietet ein vielfältiges Programm, welches vor allem durch seine Diversität in der Auswahl der Künstler:innen beeindruckt. Schön ist auch, wie die Besucher:innen in einer eigens dafür eingerichteten Ecke am Rechercheprozess der Kurator:innen teilhaben dürfen, wo sich neben Büchern auch eine Wand mit Heften befinden, welche die markierten Stellen von den Kurator:innen beinhalten. Das Wissen der Kurator:innen ergänzt die Werke.
Wie die Werke, jeweils mit ihren eigenen Bedeutungen, mit dem Hinterfragen der Erzählung um die Figur der Meerjungfrau zusammenhängen, erweist sich als anspruchsvoll ohne Zusatzinformationen. Die Figur kommt nicht immer selbst zum Vorschein, und wird teilweise eher als Linse verstanden. Daher ist der Saaltext, der alles Wichtige um die Ausstellung beinhaltet, extrem hilfreich. Aber selbst wenn man mit dem Saaltext gut bedient ist, so ist ein Besuch mit einer Führung empfehlenswert. Nicht nur, um in den Dialog zu treten, sondern auch, um die Hingabe der Kurator:innen direkt zu spüren.
if you follow the river long enough, Dietikon Projektraum, Haus Regina, Zentralstrasse 12, 8953 Dietikon, 14. November–15. Dezember 2024
Donnerstag–Sonntag, 14–20 Uhr
Die Kurator:innen wurden von Kim Anni Bassen, Paloma Ayala und Anselm Franke begleitet und mentoriert. Die Ausstellung umfasst Filmvorführungen mit anschliessenden Diskussionen, Archivmaterial, und eine Sammlung mit kulturellen Referenzen und Werken.