Worum geht es bei zeitgenössischer Kunst? Wie Anna Kornbluh in der letzten Ausgabe des spike art magazine bemerkt, geht es heute oft um etwas, das als «vibes» bezeichnet wird. Wie sie dazu anmerkt, macht es diese Fokussierung schwierig, etwas Substanzielles über die Kunst zu sagen, geschweige denn darüber zu diskutieren, denn «vibes» sind nun mal höchst ephemer. Die in der Ausstellung Necessary Evil in den Räumen von Blue Velvet Projects gezeigten Pastelle von Adam Cruces machen das Ephemere zum Thema: von der Schwerkraft angezogene Objekte werden in ihrer Bewegung an den Boden nachvollzogen. Wie diese Bilder versuchen, das Flüchtige der Bewegung visuell zu erfassen, so gelingt es auch der Ausstellung, Aspekte eines Zeitgeists einzufangen, der sich sonst gerne entzieht.
Zeitgeistig ist zunächst die Vielzahl an Referenzen aus Hoch- und Popkultur, auf die Cruces Kunstwerke verweisen. Im Erdgeschoss befinden sich zunächst die schon erwähnten Pastelle, die an die Chronofotografie Eadweard Muybridges denken lassen und deren Motivwelt amerikanische Westernfilme aufruft. Daneben werden zwei Skulpturengruppen präsentiert, deren surrealistischer Charakter laut Begleittext von der Symbolwelt des Künstlers Odilon Redon inspiriert ist: Sensen, die in Steinen an der Wand erstarrt sind, und ein Wesen, das lässig an die Wand gelehnt auf einem Käfig sitzt, um die Besucher:innen beim Eintreten in Empfang zu nehmen. Dieses augenlose Wesen ist umhüllt von einem sogenannten Ghillie suit, dessen Name seinerseits eine Referenz an eine in Blätter und Moos gekleidete Kreatur der schottischen Mythologie ist.
Im darüber liegenden Raum sind drei Wände mit spiegelnden Tableaus aus Aluminium behängt, auf denen 3D-gedruckte Seerosen zu sehen sind. Diese erinnern sowohl an die nordamerikanischen «swamplands» als auch an Monets berühmtes Seerosengemälde. Hier trifft man ausserdem erneut auf Zeichnungen des Wesens im Ghillie suit, diesmal in einer Pose, die die berüchtigten Aufnahmen von Big Foot aus den 60er Jahren zitiert. Doch nachdem man in der unteren Etage seine Bekanntschaft schon gemacht hat, wirkt das Wesen hier weder mysteriös noch bedrohlich, sondern in seiner Verkleidung eher possierlich. In ähnlicher Weise verleiht die Windmühle in Regenbogenfarben, die wie ein billiges Deko-Objekt aus dem Baumarkt aussieht, neben den kunsthistorisch nobilitierten Seerosen, letzteren eine ironische Note. Durch das Zusammenspiel aus Ernsthaftigkeit und Ironie wird somit ein Gestus aufgerufen, der als «Post-Ironie» in heutiger on- und offline-Kultur beliebt ist.
Doch die Werke sind mehr als die Summe ihrer Referenzen: Es entsteht etwas, das als «vibe» zu bezeichnen, vielleicht adoleszent wirkt, doch man könnte auch an Baudelaire denken, der den Maler des modernen Lebens beschreibt: «Er sucht dieses Etwas, das man uns die Modernität zu nennen erlauben möge[…]. Für ihn geht es darum, von der Mode das freizulegen, was sie an Poetischem im Historischen enthalten mag.» Während Constantin Guys, der einst Baudelaire als Paradigma des Künstlers gedient hat, das je-ne-sais-quoi seiner Zeit in den Schauplätzen der Grossstadt fand, findet Cruces dieses in einer post-apokalyptischen Welt, in der der Mensch nur noch durch seine Spuren verzeichnet ist. Doch diese Abwesenheit wird wiederum aktualisiert, denn plötzlich sieht man sich selbst gespiegelt hinter den Seerosen aus Polyamid und wird mit seiner eigenen Position als Beobachterin konfrontiert. Man kann an diesem Punkt verweilen, der sich optimal für ein Selfie eignet und diese Kunst instagram-tauglich macht, was sie wiederum in den Referenzrahmen des Internets rückt.
Ein verbindendes Thema der Arbeiten ist die natürliche Welt und unser Bezug zu ihr. Dabei wird eine Distanz zur Natur herausgestellt, indem diese als in höchstem Masse kulturell vermittelt ausgewiesen wird. Die Ausstellung beklagt diese Distanz nicht. Vielmehr deutet die ironische Brechung, welche sie durchzieht, auf eine Akzeptanz hin, auf die schon der Titel verweist. So wird mit den Seerosen ein Narzissmus vorgeführt, den wir mit einem Selfie sogar zelebrieren können – Necessary Evil. In ihrem dicht gewebten Netz an kulturellen Referenzen reflektieren die Werke die hypertextuelle Gegenwart, aus der wir auf unsere Umwelt blicken. Die kuratorische Dramaturgie unterstreicht dazu den post-ironischen Gestus als adäquate Haltung, um sich mit dieser zu arrangieren. Die Ausstellung zeigt, wie «vibes» Substanz gewinnen können.
Adam Cruces, Necessary Evil, Blue Velvet Projects, Birmensdorferstrasse 83, 8003 Zürich, 4. September–26. Oktober 2024