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Reading Rämistrasse #77: Ella Eßlinger zu External Parlour – Rendered Homage bei BosqueRreal und The Sound Of Thoughts bei Displays - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #77: Ella Eßlinger zu External Parlour – Rendered Homage bei BosqueRreal und The Sound Of Thoughts bei Displays

In dem schmalen Ausstellungsraum des BosqueRreal an der Seebahnstrasse befinden sich zwei Hocker unterhalb von zwei Screens, die auf einer von Flechten überwachsenen Markise angebracht sind. Erst bei näherer Betrachtung offenbart sich unter den Sitzmöbeln ein Teppich aus liegenden Videokassetten, die mit hellgelben Post-its beschriftet sind.

Der Grund für ihre Gemeinschaft war eine ungünstige Bedingung, in der keine alleine sein konnte. Es war egal, ob es sich um eine natürliche oder künstliche Umgebung handelte. Sie waren Pionierinnen, die einen gemeinsamen Lebensraum entwarfen, der jährlich unbemerkt wenige Millimeter wuchs und dessen vielgliedrige Arme sich zu einer endlosen orangegelben und grau melierten Landkarte verflochten. Sie entwickelten sich zu hochsensiblen Messgeräten, zu technischen Zeuginnen durch ihre ablesbaren Reaktionen auf ihr wechselhaftes Umfeld. Die Generationenwechsel, die sich auf dem ungewöhnlichen Träger abspielten, finden noch heute statt. Er flirrt vor Agilität.

Rut Himmelsbach erzählte mir, wie sie die Markise locker und gross eingerollt gelagert hat; und wie wichtig es war, die Flechten aussen sichtbar zu lassen und nicht nach innen einzurollen, weil ihre Geschichte sonst zu sehr abbröseln würde. Die Symbiose der unverwandten Mikroorganismen könnte ebenso aufgelöst werden, wenn sich die Umweltbedingungen für einen der beiden so verbessern würde, dass er alleine überleben könnte. Der andere würde aus dem Gleichgewicht fallen und so offenbart sich die Fragilität des Systems.

In der Vitrine wird den gemeinschaftlichen Überwucherungen Schutz gewährt. Ich stelle mir vor, wie ich eine von Ursulas Kassetten, wahrscheinlich wird es eine der roten TDK life on record sein, in den Videorekorder im Wohnzimmer meiner Grossmutter lege. Ich stelle mir vor, wie der Fernseher anspringt und mit einem leisen Piepsen die winzigen Ameisen zu flackern beginnen, bevor die Aufnahme losgeht. Sie erinnern mich an die Massstäblichkeit der körnigen, farblich changierenden Flechten der Markise, deren natürlicher Pointillismus, die dunkeln Streifen des Untergrunds verschlirren lässt oder die wenigen noch hervor blitzenden schärft.

Das Archiv springt von selbst an. Konserviertes wird kabellos miteinander verbunden. Eigentlich bin ich nicht bei meiner Grossmutter im Wohnzimmer, sondern betrachte das Aufnahmeband durch Ruts ausrangierte futuristisch gekrümmte HD-Bildschirme. Sie färben die Umwelt anachronistisch ein. Ich kann mich nicht entscheiden, ob sie die Flechten hochauflösender transmittieren und ich in Zeitlupe ihrem Wachstum zusehe oder das spiegelnde Gegenüber, noch schneller und glatter an mir vorbei zischt. Ab und an lasse ich meinen Blick über den Bildrand schweifen, versuche ihn an der grauen Wand neu zu Kalibrieren. So oder so lässt Rut den Film anders abspielen. Rut rendert die Zeit neu. Ihr nostalgisches Hightech rahmt das Spannungsfeld, in dem die Teile noch nicht ganz ihre Schärfe erreicht haben, sie neu laden müssen, mich ungeduldig zurücklassen. Rut schürt die Hoffnung, die in der sicheren Wiederkehr dieser verheissungsvollen Momente steckt. Reproduziert in einem Diorama, das die Massstäbe geschickt überbrückt, die plastischen Objekte im Vordergrund vor dem gemalten Hintergrund entgleister Zeit zu einer perfekten langlebigen Illusion aktiviert.

Zwei Strassenzüge entfernt, in den Displays in der Weststrasse, zeigt Rut fotografische Arbeiten. Die Aufnahmen eines offenen Kartons wechseln sich mit jenen eines Tuches ab. Während Rut im Frühjahr 2020 offene Kartons noch gegen den Himmel fotografierte und der Freiheit entgegenblickte, schwingt sie sich nun in die Lüfte, nimmt einen analytischen Blick ein, verkettet abermals über Distanz. Manchmal lässt sie mich in die Tiefe der doppelten Böden stürzen, zerstreut mich mit einer neuen Anordnung des weissen Stoffes, stellt die Umgebung gekonnt in den Schatten durch das Aufklappen der fragilen Seitenwände. Trotz Gegenüberstellung schlägt sie nie eine Kombination vor. Die Objekte bleiben in ihrer Universalität dem Irdischen fern, egal ob sie im normierten Verkehrshandel oder in christlicher Auffahrt über die Erdoberfläche gleiten. Vielleicht entwickeln sich die nahezu farblosen Unbekannten zu Vertrauten, sobald ich das Tuch aufschütteln möchte, um dahinter zu blicken oder den Karton mit meinem Gedankengut fülle.

Rut Himmelsbach mit Ursula Correia External Parlour - Rendered Homage bei BosqueRreal, Seebahnstrasse 109, 8003 Zürich
Rut Himmelsbach The Sound Of Thoughts bei Displays, Weststrasse 117, 8003 Zürich
Beide Ausstellungen bis zum 13. Februar 2022

Bilder: Installationsansichten von BosqueRreal, Nicolò Krättli, courtesy the artist, BosqueRreal and Displays.

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