Disclaimer: Luca Harlacher und Jason Rohr waren Studenten von Jörg Scheller an der Zürcher Hochschule der Künste, ein Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht mehr.
Auf dem Höhepunkt der Pop Art in den 1960er-Jahren präsentierten Künstler wie Claes Oldenburg, Marjorie Strider, Mel Ramos und Evelyne Axell den Massenkonsum angloamerikanischer Provenienz als surreale Sphäre hypererotisierter Existenz. Verführung überall – warenförmig, jaja, auch unheimlich, durchaus, aber schon auch leider geil: Muskelkörper, Bikinis, freie Liebe, Comics, Coca-Cola, Lippenstift, Eiscreme, Strassenkreuzer, softes Design in psychedelischen Farben. «Der Konsum als Spectacle verspricht das Verschwinden des Mangels», schrieb der undogmatische Linke Hans Magnus Enzensberger 1970. Und heute? Erscheint die Konsumkultur vielen nervösen Bewohner der Wohlstandsinseln weniger als süsses Versprechen denn als überhitzter Motor der ökologischen Apokalypse; weniger als Schlaraffenland denn als Candy Jail.
In ihrer Ausstellung Land of a 1000 Dances im Kein Museum betätigen sich Luca Harlacher und Jason Rohr als Archäologen der Träume, Projektionen, Hoffnungen, Fetische und Utopien, die sich mit dem demokratischen Massenkonsum verbanden. Harlacher hat ein übermenschhohes Puppenhaus errichtet, um es mit schrillbuntem Spielzeugplunder und allerlei Wegwerftand zu füllen. Es ist, als hätte er Ausgrabungen auf den Müllkippen der Gegenwart vorgenommen, wo nicht nur Defektes, sondern auch – und teils mehr noch – intaktes Langweiliggewordenes landet. Ein kulturkritischer Blick würde darin wohl schlicht Zeugnisse der Überproduktion erkennen. Man könnte die Bestandteile der Installation aber auch als Hinweise darauf verstehen, dass liberale Massenkonsumkulturen die Perseveranz kindlicher und jugendlicher Merkmale bis ins hohe Alter begünstigen, zum ständigen Spiel mit immer neuen Dingen animieren. Durch «Neotenie» zeichneten sie sich aus, beobachtete der Philosoph Leszek Kołakowski 1972 in seinem Buch Die Gegenwärtigkeit des Mythos. Die «ewige Unreife» des Menschen sei als Bedingung von Kreativität und Vielseitigkeit erkannt worden.
Da ist es nur folgerichtig, dass Rohr für seine Installation einen Doppelgänger seiner selbst in das Rectified-Readymade-Fragment eines Autos gesetzt hat: in Form eines 3D-Druck-Selbstporträts ist er in ewiger Roadmovie-Jugend konserviert, dialektisch verstärkt noch durch ein Arbeitshemd seines Vaters, das den skulpturalen Oberkörper umhüllt. Der Sohn schon im Kreativkapitalismus geboren, der Vater noch Teil der alten Handwerker- und Industriearbeiterschaft; die Personifikationen von Fordismus und Postfordismus als Fahrer in einem Wagen ohne Steuer. An der Wand hinter Rohrs Kunstkopf zeigen Projektionen betont rudimentär animierte Naturszenerien, die Seitentür des Vehikels besteht aus Karamell, derselbe Süss-Stoff ergiesst sich über die Motorhaube und wird durch synthetischen Karamellduft olfaktorisch geboostert. Zwar scheint die zuckrige Erotisierung der Existenz, welche die Konsumkultur einst versprach, zum Greifen, ja zum Schmecken nahe, doch während 1964 im Happening Household des Fluxuskünstlers Allan Kaprow noch Marmelade von der Motorhaube eines Autowracks geleckt wurde, würde man im Land of a 1000 Dances vergebens lecken. Der Karamell ist von einem undurchlässigen, geschmacklosen Firnis überzogen.
KM47: Land of a 1000 Dances mit Luca Harlacher und Jason Rohr, Keinmuseum, Ausstellung auf Anfrage: 17.1-23.1.22
Bilder: Courtesy Keinmuseum und die Künstler