Zu dumm nur, wenn man sich vorgenommen hat, eine Kritik über das Forsythe-Projekt im Kunsthaus Zürich zu schreiben und dann hingeht und merkt, dass es nichts zu kritisieren gibt.
Nein, mehr noch: Dass es sich hier um ein grosses Kunsterlebnis handelt; eins, das noch lange nachhallen wird. Acht Glocken und zwei Triangel hat William Forsythe, der ursprünglich Choreograph und Tänzer ist, in den Ausstellungsräumen des Erweiterungsbaus installieren lassen. Die Idee dahinter: Die dröhnenden Glocken sollen die Besucher*innen durchs Haus lotsen, ziehen oder schieben. «Klang als choreografischer Antrieb» nennt es Forsythe. Das Projekt fügt sich in seine Choreographic Objects ein, einer Serie von Installationen, interaktiven Skulpturen oder Gebrauchsanweisungen, die er seit den 1980er Jahren für Museen, Biennalen oder im öffentlichen Raum kreiert. Bewegungsabläufe (oder auch kinetische Phänomene) sollen dabei isoliert und bewusst erlebbar gemacht werden. Dass Forsythe in Zürich nun Glocken installieren lässt, die zum Parcours durch das neue Haus rufen, ist in mehrerer Hinsicht geschickt: Die Installation nimmt sich visuell zurück und lässt die Architektur von David Chipperfield Architects glänzen. Und ja, es glänzt gewaltig in dem 206 Millionen teuren Erweiterungsbau. Aber auch hier: Was gibt’s zu kritisieren? Nichts. Noch Tage später schwärme ich vom Bau mit diesem Materialmix aus Marmor, Stein und Messing, dessen Stil man als zurückhaltenden Protz beschreiben mag, den ich aber vor allem als grosszügig empfinde. (Apropos grosszügig: Die goldene Donatorenliste dehnt sich über die ganze Länge der Wand in der Eingangshalle aus; ein faszinierender Regelbruch im zwinglianischen Zürich, so könnte man meinen.)
Alles tiptop am Heimplatz, also? Ganz so easygoing ist die Sache nicht. Sobald die Glocken von William Forsythe nämlich verklungen sind, stehen bedeutende Entscheidungen an. Setzt die neu zu wählende Spitze der Kunstgesellschaft aufs Haus der Künste oder auf den Ort für Begegnungen (Stichwort: Eventkultur)? Verkündet die Findungskommission demnächst, dass das Haus ab 2022 von einer Direktorin geleitet wird? Das Geschlecht der nächsten Direktionsleitung wird zu reden geben, egal wie die Wahl ausfällt. Angesichts gewichtiger kulturpolitischer Weichenstellungen schweifen meine Gedanken auch beim Rundgang durchs Museum etwas ab. Der Bau von David Chipperfield setzt ein Zeichen und verspricht, Bestand zu haben. Und wie steht es um die Institution Kunsthaus Zürich? «Man muss nur darauf achten, mit welchen anderen Häusern das Kunsthaus jeweils zusammenarbeitet, um abzuschätzen, in welcher Museumsliga das Kunsthaus spielt: in der zweithöchsten,» formuliert es Architekturjournalist Benedikt Loderer unverfroren direkt in seinem Text zur Baugeschichte des Kunsthaus Zürich in der hauseigenen Publikation. Der Neubau verkörpere eben auch den Zustand der Stadt Zürich in der heutigen Zeit; man wolle attraktiv sein für zukünftige Donator*innen, daneben gehe es bei einem solchen Museumsbau auch um Städtekonkurrenz, Kaufkraftströme und Tourismus. Doch zurück zur Kunst: Werden im Kunsthaus Zürich auch gesellschaftliche und künstlerische Entwicklungen reflektiert; Impulse für die Stadt und darüber hinaus gesetzt? Es gibt eine Institution am Heimplatz, die das zurzeit ziemlich gut hinkriegt: Das Schauspielhaus zeigt Kultur, deren Polyphonie die gesellschaftliche Realität einer postmigrantischen und feministischen Schweiz widerspiegelt. Das möchte ich auch im Programm des Kunsthaus sehen! Wenn Kuratorin Mirjam Varadinis in einem Einführungsfilm zur Intervention von William Forsythe sagt, mit dem Projekt solle eine neue Ära des Kunsthaus Zürich eingeläutet werden, so nehme ich sie gerne beim Wort.
William Forsythe: The Sense of Things, Kunsthaus Zürich, 23. April–24. Mai 2021
Bilder: Kunsthaus Zürich, Chipperfield-Bau William Forsythe. The Sense of Things, Ausstellungsansicht 2021, Foto © Franca Candrian, Kunsthaus Zürich Werk © William Forsythe; Kunsthaus Zürich, Chipperfield-Bau Zentrale Halle, Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich