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Reading Rämistrasse #34: Mateo Chacon-Pino zu Contemporary Debates on the Ecological Crisis beim Migros Museum für Gegenwartskunst

Es gibt eigentlich drei Arten, wie wir mit der pandemiebedingten Verschiebung ins Digitale und dem damit einhergehenden Einschluss in die eigene Wohnung umgehen: Frustration und Wut über die Situation und den Mangel an sozialen Veranstaltungen, konsternierte Akzeptanz, dass es so ist, wie es ist, oder enthusiastischer Tatendrang, neue Tools von den tausenden Entwickler*innen auszuprobieren. Entsprechend gross ist dann die Genugtuung, wenn ein Online-Symposium von einem Haufen Talking Heads zu einem tatsächlichen Denk- und Reflexionsraum wird, anders als frühere, analoge Symposien, deren Teilnahme meist nur durch den gemeinsamen Automatenkaffee gerechtfertigt wurde.

So geschah es im Online-Symposium «Contemporary Debates on the Ecological Crisis», veranstaltet vom Migros Museum für Gegenwartskunst in Zusammenarbeit mit dem Departement Fine Arts und dem Postgraduate Programme in Curating der ZHdK, in der das Publikum nicht nur mit dringenden Fragen konfrontiert, sondern als gleichwertiger und aktiver Teil der Diskussion behandelt wurde. Die Veranstaltung stellte den Anspruch, einen transdisziplinären Überblick auf den Stand der Forschung zur gegenwärtigen ökologischen Krise zu geben, ein Themenfeld des Migros Museums, das uns noch einige Jahre beschäftigen wird. Was besonders angenehm auffiel, war das Fehlen seines Positionspapiers und der damit verbundenen Offenheit für die Richtung der Gespräche. Gerade in den Fragerunden zwischen den Programmblöcken entwickelte sich eine teilweise aufgeregte Diskussion um noch offene Fragen oder Kritiken zu den Beiträgen, die sich parallel zwischen Chat und mit der Kamera zugeschaltete Zuschauer*innen entfaltete und auch Fragestellungen von folgenden Vorträgen vorwegnahm. Dadurch erlebten wir den Nachmittag wie eine sorgsam durchdachte Verstrickung von Ideen und Gedanken.

Gerade im Kontext der «Potential Worlds»-Ausstellungsreihe im Migros Museum fiel das Symposium aber etwas aus der Reihe; das Museum veranstaltet im gleichen Zeitraum eine Gesprächsreihe mit Künstler*innen in Zusammenarbeit mit der ZHdK und deren Kuratorium Ökologie als Rahmenprogramm. Aus dieser Konstellation blieb das Verhältnis zwischen Symposium und Ausstellung ungeklärt, schliesslich verknüpften lediglich Pinar Yoldas als Vortragende und ausgestellte Künstlerin sowie das Überthema der Umwelt beide zusammen. Trotzdem wäre es wünschenswert gewesen, wenn das Symposium die Frage nach ökologisches Epistemologien in der kuratorischen Arbeit von Kurator*innen und Institutionen gestellt hätte. (Wo bleiben die Alternativen zur Ausstellung von ökologischen Themen bei der Kunstwerke nicht distanziert und diskret präsentiert werden, so als seien sie für sich abgeschlossene Objekte ohne Verbindung zueinander oder zur Umwelt? Es scheint, dass die Museumswände immer noch eine Trennung zwischen ökologischer Praxis draussen und klassischer Ausstellung drinnen vollziehen.)

Inspiriert von der andinen Kosmologie schlug beispielsweise der Philosoph Federico Luisetti am Morgen irdische Wesen («Earth Beings») als neuen Begriff für nichtmenschliches Leben vor. Bei diesem blieb aber unklar, inwiefern sich die Begrifflichkeit von derjenigen des New Materialism oder auch des Aktanten-Begriffs von Bruno Latour unterscheidet oder inwiefern indigene Vorstellungen dadurch nicht romantisiert werden. Vielleicht lag es noch am fehlenden Automatenkaffee, doch ergab sich hier noch keine engagierte Diskussion zwischen den Zuhörer*innen und den Vortragenden.

Am Nachmittag sprach die Kunsttheoretikerin Yvonne Volkart über «Technologies of Care», die in ihrer Forschung zu Ecomedia und Eco-Ästhetik vorkommen, und die schliesslich bis zum Abend geführte Diskussion um Epistemologien, Technologien und Nachhaltigkeit prägten: In ihrer Arbeit verschwimmen die Grenzen zwischen biologischem Leben und Messgeräten genauso sehr wie zwischen wissenschaftlichen Daten und ästhetischer Erfahrung der Umwelt. Der Umwelthistoriker Marcus Hall stellte Fragen zu verschiedenen Konzepten der technischen Konservierung oder Restaurierung von Natur- und Kulturlandschaften, die sich aus dem Umgang mit Land Art aus den 1960er und 1970er Jahren, und insbesondere von Robert Smithsons Spiral Jetty, 1970, inspirieren lassen. Je nach historischem und künstlerischem Kontext ergeben sich unterschiedliche Zustände – ob ein natürlicher oder gestalteter, ob sich selbstregelnd oder von menschlicher Technologie gepflegt – die entweder restauriert oder konserviert werden sollen.

Zuletzt stellte die türkische Künstlerin Dr. Pinar Yoldas ihre Videoarbeit Kitty AI, 2016, vor: Der Entwurf einer Zukunft, in welcher eine artifizielle Intelligenz sämtliche Regierungs- und Verwaltungsaufgaben eines Landes übernimmt. Sie erklärt ihre Haltung als Künstlerin damit, ästhetische Formen zu finden, um die Kausalität zwischen individuellem Konsum und ökologischem Schaden darzustellen. Als Beispiel nannte sie ihre Arbeit Ecosystem of Excess, 2014, die fiktive Tiere und Organe zeigt, die sich an die neue Umwelt angepasst haben und Plastik verwerten können. Diese letzte Arbeit basiert auf ihrer Lektüre von Jakob von Uexkülls Konzept der Umwelt – dem sie für die nächsten Jahre grössere Bedeutung zumisst – und der Möglichkeit der Natur sich auch an eine Plastik-Umwelt anzupassen. Von Uexküll gilt als Begründer der Biosemiotik und argumentierte für den Einfluss individueller tierischer Wahrnehmung als Grundlage für die Interaktion mit der unmittelbaren Umwelt und somit auch als Faktor in der Evolution. Und gerade im Feld der bildenden Künste müssen wir uns besser heute als morgen die Frage stellen, wie Kunst unsere Wahrnehmung der Umwelt beeinflusst und was dies für die Existenz der menschlichen Spezies bedeutet.

Dass die Themen der ökologischen Katastrophe und der politische Umgang damit dringlich sind, war schon vorher klar, doch was die vielen Teilnehmenden bewegte war auch der ästhetische Umgang damit. Pinar Yoldas zeigte als Einzige das imaginative Potential von Kunst, sich eine neue Welt und neue Ökologien vorzustellen, während die restlichen Vortragenden die genannten Kunstwerke lediglich als Beispiele oder Inspiration zu nutzen schienen. So stellt sich im Rückblick die Frage, inwiefern sich kunsthistorische Referenzen als Analysewerkzeuge für eine zeitgenössische, wissenschaftliche Analyse eignen und wie die Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft zu pflegen ist. Yvonne Volkart und Marcus Hall waren sich von allen Vortragenden dieser Beziehung am stärksten bewusst: Volkart argumentierte schliesslich für die künstlerische Praxis als eine Erkenntnis-gewinnende Methode und Hall fokussierte sich auf konservatorische Fragen zu Land Art, die bis heute auch aufgrund klimatischer Veränderungen nicht abgeschlossen sind, als Inspiration für die Restauration und Pflege von Landschaft.

Gerade das grosse Interesse für künstlerisch-technologische Lösungen wie künstliche Intelligenzen oder die Verschmelzung von Vermessung und Pflege zeigen, dass die Kunstwelt nicht darum herumkommt, ästhetische Formen für die Darstellung und Ausstellung der gegenwärtigen ökologischen Krise zu finden, die über die Reproduktion von rückwärtsgewandten Romantisierungen des «Natürlichen» und Lobhudelei für politischen Aktivismus hinausgeht. Gerade da zeigt sich die Stärke der Kunst gegenüber der Wissenschaft – und der Grund warum so viele Vortragende die Kunst herbeizogen, um ihre Argumente zu untermauern; die Kunst ist frei, sich eine andere Welt vorstellen als die, die wir jetzt schon haben. Man muss sie nur lassen.

Contemporary Debates on the Ecological Crisis, Online Symposium vom Migros Museum für Gegenwartskunst, 18. Januar 2021

Bilder: Pinar Yoldas, The Kitty AI: Artificial Intelligence for Governance, 2016, videostill, courtesy the artist; Earth Beings and the Neoliberal State of Nature, Prof. Dr. Federico Luisetti im Gespräch mit Dr. Elena Rosauro, Koordinatorin des Lateinamerikazentrums der Universität Zürich, Postdoktorandin und Co-Kuratorin bei la_cápsula, Zürich; The High Art of Rewilding, Dr. Marcus Hall Im Gespräch mit Gözde Filinta, Forscherin und Kuratorin, Istanbul & Zürich; Diskussion.

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