Sollen wir da rein? In diesen violett ausgeleuchteten, mit Rasen ausgelegten Raum, der wie ein sonderliches Gewächshaus oder ein dystopisches Labor aussieht? Neonröhren, ein schwerer, zerfetzter Vorhang aus Silikon; Objekte aus demselben Material, die irgendwie an Tiere, aber irgendwie auch an Pflanzen erinnern, nehmen den Raum mit ihren tentakelartigen Extremitäten ein. Sollen wir da wirklich rein?
Nach und nach gewöhnen sich die Augen an das Licht von Yael Wicki, das zuvor schreiend-grell erschien; an den unvertrauten Anblick, der langsam vertraut wird. Plötzlich verspüren wir Neugier, möchten auf dem frischen Rasen herumspazieren, erkunden. Also ziehen wir die Schuhe aus, setzen Fuss auf das feuchte Gras, spüren seine dünnen Halme zwischen den Zehen. Schauen uns um, betrachten die Objekte von Christopher Füllemann, die wie lange Arme auf dem Boden liegen, wie dünne Finger von der Decke hängen. Mal «wächst» eine Salbeipflanze aus ihnen heraus, mal wurden Lavendelblüten in das Silikon eingearbeitet. Nun stehen wir also hier, in dieser künstlichen und doch natürlichen Umgebung, die irgendwie beides und nichts von beidem ist.
Das Ausstellungsprojekt «Intimate Estrangement» spielt mit unseren Erwartungen, bestätigt sie, um sie im nächsten Moment zu enttäuschen. Hier gibt es keine abschliessenden Antworten, an denen man sich orientieren könnte. Doch vielleicht ist es genau diese Desorientierung, die uns dazu bringt, jene Vorstellungen zu hinterfragen, zu untersuchen und zu sezieren, die wir oft als gegeben oder selbstverständlich erachten.
Intimate Estrangement, Mikro, 27. August – 27. September 2020
Estrangement Sessions, Mikro und schwarzescafé, 25.–27. September 2020
Bilder: Christopher Fulleman, Lavender Spell, Yael Wicki, When systems fail we feel a tingling of freedom on the top of our nose _ how to dis- order our Self’s, Fotos: Yael Wicki