Gesichter, Augen, blinde Flecken, Bewegung und Erstarrung, Musik, ein Stern und eine Blume. Die Betrachterin wird zur Betrachteten. Der zweiundzwanzigjährige brasilianische Künstler Samuel de Saboia schafft auf Leinwand, Holz, Leder und bemaltem luftgetrocknetem Lehm einen intimen Raum und ein Gegenüber. Seine Arbeit beinhaltet Geburt, Leben, Tod und Selbstakzeptanz innerhalb sozialer Zusammenhänge. Augen schauen, hypnotisieren und kommunizieren. Verschiedene Erzählungen werden zu einer und am Schluss bleibt ein grosses Stimmengewirr.
Der Ausdruck de Saboias Malerei an sich ist ein Befreiungsschlag aus der Isolation. Encapsulated verkörpert vor allem auch das Gegenteil – nämlich sich frei machen. Jedes Bild hat ein fesselndes Moment, das sich in der Gesamtheit ins Unermessliche steigert. Das Zusammenspiel von Linie und Fläche fasziniert mich in allen Werken. Ich stehe lange vor Inocente. Das Porträt in Acryl auf Holz schaut zurück, wächst über den Bildrand hinaus. In seiner Einfachheit hat es etwas charakteristisches, wie experimentell Form und Material vom Künstler inszeniert werden. Inmitten dieser Vielfalt von Farben wird man ganz klein und ehrfürchtig, wie eines dieser Totem, die das Figurative aus der Leinwand in den Raum ziehen. Die bemalten Lehmplastiken sind tiefgründig und humorvoll. Ihnen wohnt etwas sehr eigenes, naives und magisches inne. Sie sind Persönlichkeiten, die vielschichtige Assoziationen wach rufen. Zwischen diesen Wänden wird man in Bann gezogen. Die Verbindung, die dabei entsteht, bricht nicht ab, wenn man die Ausstellung wieder verlässt. Etwas bleibt haften. Als wäre man jemandem begegnet oder Teil einer Welt geworden, in die man gerne ein weiteres Mal eintauchen wird, weil man sie noch nicht ganz fassen konnte.
Samuel de Saboia: A Bird Called Innocence, Galerie Kogan Amaro
06. Juni–15. August 2020
Bilder: Installationsansicht, Samuel de Saboia: A Bird Called Innocence, Galerie Kogan Amaro; Inocente, 2020, Samuel de Saboia. Fotos: Nelly Rodriguez