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Churchgoerin Gabrielle: «don’t forget to call your mom – Marktbejahung im Kirchsaal» - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Churchgoerin Gabrielle: «don’t forget to call your mom – Marktbejahung im Kirchsaal»

Gabrielle gibt in ihrem Abschlussbericht einige spannende Denkanstösse zu Rob Pruitts Ausstellung.

Lesen Sie ihre Gedanken zu Marktbejahung, Zugänglichkeit, Muttertag und The Church im Hinblick auf das zerbröckelnde Sozialwesen in Amerika.

An diesem zweiten Maisonntag erfüllten süsser Keks-, Popcorngeruch und Kinderstimmen das Löwenbräu-Areal. War der Himmel draussen bedeckt, so herrschte drinnen eitel Sonnenschein. The Church stand Besucher_innen offen, ihren eigenen Flohmarktstand aufzubauen um als Flea Market wiederum ein Kunstprojekt im Kunstprojekt zu beleben. Einzige Bedingung dafür war, mit der feilzubietende Ware vor der offiziellen Öffnung der Kunsthalle vor Ort zu erscheinen, um sich dann einen Standplatz zu ergattern. – Offenbar eine wesentlich geringere Herausforderung als bei den Zürcher Samstags-Flohmärkten auf dem Kanzleiareal oder dem Bürkliplatz. (Eine junge Frau, die mir später eine libellen-grün-irisierende, transparente Taft-Bluse für 10 CHF verkaufte, berichtete es mir jedenfalls so). Auch Rob Pruitt trieb sich entspannt zwischen den gemischten Ständen herum. Er erstand ein vintage Poster des Montreux Jazz Festivals von Keith Harring und bot sich selbst als Porträtist an. Flohmarkt-Preis für ein Pruitt-Porträt: Ab 100 CHF war die Besucherin dabei. (Für das Harring-Poster bot Pruitt gerüchteweise zwei Porträts im Tausch an). Wie sich das kunstaffine Publikum bestehend aus Standbetreiber_innen, Architekt_innen, Familien, Künstler_innen, Journalist_innen und diversen Kulturarbeiter_innen so beim Stöbern und Flanieren aneinander vergnügte, traf ich auf einen Bekannten. Wir kamen auf The Church zu sprechen. «Gut möglich, dass den Besucher_innen entgeht, dass Pruitt seine Projekte in den USA auch vor dem Hintergrund eines ruinösen Sozialstaates entwickelt.» Gelebte Sozialität bzw. Solidarität im Rahmen von Kirchgemeinden sei dort zusehends Ersatz für die zerbröckelnde soziale Infrastruktur, merkte er in etwa sinngemäss zusammengefasst an. Tja, das war auch mir bisher in diesem Zusammenhang entgangen. Allerdings nicht der Fakt, dass in Pruitts The Church gerade etwas zwischen Kunstmesse für kleinere Brieftaschen und klassischem Flohmarkt stattfand.

Die Bemerkung erinnerte mich an eine Diskussionsrunde in und über The Church, an der ich Anfang Mai in meiner Funktion als Churchgoerin teilgenommen hatte. Rebecka Domig von der Kunsthalle Zürich beobachtet, wie ein jeder und eine jede sich durch Pruitts The Church automatisch aufgefordert fühle, laut über das eigene Verhältnis zum Glauben nachzudenken oder sich kritisch gegenüber Religion(en) zu positionieren. Während des Gesprächs lobten andere Stimmen die Zugänglichkeit von Pruitts The Church gegenüber der eher despektierlich beurteilten «abgehobenen Malerei», die sonst so als Kunst ausgestellt würde. Wie jede vielschichtige künstlerische Arbeit, lässt The Church ihren Besucher_innen verschiedene Interpretationsmöglichkeiten und Zugänge offen. Während sie sich dem Leben als Beziehungskunst annähert, führt sie Alltagsmuster neuer Wahrnehmung zu. Was aber, wenn wir The Church und den Flea Market für einmal weniger als Kommentar zu christlichem Glaube, Riten und Religion, sondern tatsächlich als Kunstinstallation wahrnehmen? Lassen sich die Dinge überhaupt noch trennen? Ist eine klassischere Form der Kunst und Präsentation im Vergleich dazu per se abgehoben? Lassen sich trotz des hohen Anteils gelebter Sozialität, den dieses Format mit sich bringt, auch Verfremdungseffekte hervorheben? – Die Tatsache, dass derartige Fragen durch Pruitts Projekte aufgeworfen werden, rührt von einer Haltung, die nicht in Konsum- oder Gesellschaftskritik, sondern im Zuspitzen von kapitalistischen Mechanismen besteht. Was in Pruitts Fall soziales Engagement nicht ausschliesst.

Auf der Flohmarkt-Plattform, die Pruitt auch Zine Herausgeber_innen und Künstler_innen in der Kunsthalle bot, fiel mir ein Stand auf: «Don’t forget to call your mom», war auf die dort von einer Studentin installativ drapierten Shirts gedruckt. Noch bevor mir wieder in den Sinn kam, was es mit dem Slogan am zweiten Maiwochenende auf sich haben könnte, wog ich ab, ob mein limitiertes Bargeldbudget einen weiteren Kauf überhaupt zuliess. – Muttertag! – Das war ja auch so eine Geschichte. Der Glaube, dass der Feiertag von den Nationalsozialisten eingeführt wurde, hält sich hartnäckig – kein Wunder, lässt sich solche Feierlichkeit doch auch höchst konservativ interpretieren und wurde im Dritten Reich tatsächlich beharrlich gepflegt. Die Geschichte um die amerikanische Methodisitin Anna Marie Jarvis, die 1907 erstmals ein «Memorial Mothers Day Meeting» zu Ehren ihrer verstorbenen Mutter veranstaltete, ist weniger bekannt. Dabei wurden 500 weisse Nelken an andere Mütter vor Ort verteilt. Nach jahrelangem politischen Aktivismus erreichte Jarvis, dass der Kongress den Feiertag 1914 offiziell einführte. Neben Weihnachten entwickelte sich der Muttertag in den USA bald zum konsumreichsten Tag. Enttäuscht von dieser Kommerzialisierung, setzte sich Jarvis schliesslich den Rest ihres Lebens für dessen Abschaffung ein. Pruitt blüht solch paradoxe, aktivisitische Liebesmüh kaum, lieber akzeptiert er die ‘Spielregeln’ im Betrieb von vornherein und exponiert sie.