Vier Wochen lang hat sich Paul Fischli intensiv mit Rob Pruitt: The Church auseinandergesetzt. In seinem letzten Blogbeitrag spannt er noch einmal den Bogen von dem Raum als Kunstausstellung über den Gebrauch als Openki-Kursraum, Theory Tuesday bis hin zu den Gottesdiensten. Erhalten solche Veranstaltungen hier in diesem simulierten Kirchenraum ein anderes Gepräge, als wenn sie irgendwo sonst stattfinden würden?
Ich freue mich auf einen ergiebigen Abend mit ZHdK-Dozentin Olivia Jaques und einer Gruppe ihrer Studierenden im Bachelor Kunst und Medien. Wir setzen uns an den langen Tisch, die Studierenden erläutern ihre Eindrücke von der Ausstellung. Manche formulieren Ratlosigkeit, Verstörung, Fragen – «Was genau passiert hier?» «Alles schon gesehen», sagt einer, «sowas von 90er». Ein anderer äussert spontane Begeisterung für die schiere Grösse des Raumes, einen gewissen Zauber, die zeitgemässe Darstellung. Jemand spricht von Gott auf Augenhöhe und dem Clash von Religion und Kultur, jemand anders von Chaos-Magie. Es manifestiert sich: Den Raum muss man füllen, erarbeiten, beleben. Mit Kirche? Mit Wissen? Was macht das Individuum im Spannungsfeld Kunst und Gesellschaft?
Im Anschluss folgt ein Openki-Workshop zu Speed-Dating, die meisten entscheiden sich spontan, zu bleiben und mitzumachen. Es gelten drei Grundprinzipien: In 90 Sekunden das Gegenüber jeweils zu begeistern versuchen dafür, was man lernen möchte, was man besser oder gut können will oder jemandem beibringen könnte. Beim Warm-Up zu Häppchen und Bier wird zum Beispiel nicht nur mexikanisch kochen oder besser zeichnen angeboten, sondern auch die Vermittlung von IT-Kenntnissen zu Open Source-Anwendungen gesucht.
Aber eigentlich galt mein Besuch heute der Theory Tuesday-Session zum Thema On Bullshit. Die englische Künstlerin Leila Peacock hat diesen Essay des Moralphilosophen Harry G. Frankfurt zur Debatte vorgeschlagen, der vor zehn Jahren wochenlang die Bestsellerliste der New York Times anführte. Ich habe mir das handliche Büchlein vorgängig extra besorgt, es ist in der heutigen politischen Grosswetterlage beunruhigend aktuell. Wir sinnieren angestrengt über den anstrengenden Text und grübeln über den Unterschied zwischen Humbug und Bullshit, wir debattieren über das Wesen einer guten Lüge und ein Zitat von Wittgenstein.
Ich schweife ab. Erhalten solche Veranstaltungen hier in diesem simulierten Kirchenraum ein anderes Gepräge, als wenn sie irgendwo sonst stattfinden würden? Ich glaube nicht. Aber sind es andererseits nicht gerade solche Zusammenkünfte und Veranstaltungen, die diesen Ausstellungsraum erst beleben, erlebbar machen? Es sind diese Events, die ein interessiertes Publikum ansprechen, welche Rob Pruitts The Church zu einem Erlebnis werden lassen. Wäre sie das auch ohne? Mein Kirchgang heute, zusammen mit dem Jazz-Gottesdienst vor zehn Tagen, war jedenfalls der interessanteste.