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Sean Landers

28.08.–31.10.2004

Seit den frühen neunziger Jahren gehört das Werk des amerikanischen Künstlers Sean Landers (geboren 1962) zu den faszinierenden und immer wieder von Neuem irritierenden künstlerischen Projekten der zeitgenössischen Kunst. Wie ein roter Faden zieht sich das Gegensatzpaar quälender Selbstzweifel / heillose Selbstüberschätzung durch das medial und stilistisch vielfältige Werk des Künstlers. Er benutzt dabei eine Vielzahl an Masken des Scheiterns aus der Kunst- und Populärgeschichte als Strategie des Subjektes, sich vor dem unausweichlichen Versagen zu bewahren.


“Ursprünglich hatte ich die Idee, die konzeptuelle Kunst unterhaltsam, schludrig, emotional, menschlich und witzig zu machen. Über die Jahre habe ich mich mit diesem Konzept so sehr exponiert, dass sich der Kreis zu schliessen begann und ich wieder zu einem traditionellen Künstler wurde. Ich versuchte, ironisch damit umzugehen, aber es wurde letzten Endes ernst. Jetzt bin ich ein glückliches Opfer meiner eigenen Scharade. Ich denke mir, es ist besser, ein Trottel zu sein, der etwas macht, statt ein Klugscheisser, der zu vorsichtig ist, überhaupt etwas zu machen.“
(Sean Landers, «The Booby», 1998)

Die Kunsthalle Zürich zeigt nun in der ersten institutionellen Einzelausstellung des Künstlers einen retrospektiven Überblick über sein Werk, der Text- und Cartoonarbeiten auf Papier, Gemälde, Skulpturen, Video- und Audioarbeiten von 1992 bis heute umfasst.


Anfang der neunziger Jahre führte Sean Landers mit Text- und Videoarbeiten, die im ‘Stil’ der Konzeptkunst auftraten, die Fehlstelle und das Tabu des Subjektes und der Emotionalität des Künstlers in dieses Kunstgenre ein. Radikale Selbstentblössung, das emotionale Hadern mit Selbst- und Fremdeinschätzungen, private und professionelle Sehnsüchte und Qualen durchziehen seine Arbeiten. Er gilt als der Künstler, der sich mit Selbstbekenner- und Stream-of-Consciousness-Texten präsentiert, wie u.a. «Art, Life and God» (1990) oder «[sic]» (1993), mit Textbildern und Cartoons, wie z.B. «For the Love of Nothing» (1994), mit Videoarbeiten, die mit ihm oder einem Affen in seinem Studio gedreht waren, und mit ‘unfertigen’ Skulpturen, die ihn als ein an der Kunst, seinem Leben und seinen Beziehungen scheiternder Künstler zeigen. Er macht Konzeptkunst über das Kunstsystem mit seinen Protagonisten und Institutionen, die sich von den rationalen Regeln und Vorgehensweisen der Konzeptkunst mit menschlichen, emotionalen, intimen Mitteilungen unterscheidet.


Im Werkverlauf der letzten fünfzehn Jahre hat er sein Publikum immer wieder mit neuen Stilen und Winkelschmieden seiner künstlerischen Produktion überrascht und mit dem Formenvokabular und der Motivgeschichte der Kunst ein facettenreiches Unternehmen angestellt, das um die Widersprüche und Irrfahrten der Gefühle des Menschen kreist, um die Konstruktionen des Subjekts zwischen historischer Rückversicherung und zeitgenössischer Verunsicherung, um Selbstüberschätzung und Selbsterniedrigung und um die allgemein menschliche Tragik des sich in Formation befindlichen Subjektes – und selbstverständlich vor allem um das Kunstmachen.
Sean Landers’ künstlerisches Werk irritiert auf grandiose Weise mit Widersprüchen und Fehlleitungen: Das Mimikry anti-heroischer Künstlerschaft ist immer auch die Dekonstruktion desselben; in seinen Bekennerschriften und diversen ‘Nacktheiten’ ist das Subjekt, das sich äußert, immer auch das Objekt des Künstlers und damit die Fiktionalisierung der gleichen Person.


Landers’ ‘Performances’ des Authentischen führen die Tradition der grossen ‘Iditioten’ der Kultur- und Kunstgeschichte in die Gegenwart. Der französissche Kurator und Essayist Jean-Yves Jouannais hat in seinem Buch «L’idiotie – art, vie, politique» auf den Unterschied des altmodischen ‘ursprünglichen Idioten’, der in seinem Werk verschwindet und dem ‘listigen Idioten’ der Gegenwart, der dem Verschwinden und damit dem ‘symbolischen Selbstmord’ entgeht, hingewiesen. Sean Landers’ ‘Idiotie’ ist die Idiotie der List, ist Idiotie als symbolischer Schutz.

Der voyeuristische Zugang zur authentischen Person und zum authentischen Schaffen des Künstlers ist in seinen Arbeiten mehrfach gebrochen. Das Video «Anyone’s Orgasm» (1992) entpuppt sich als wahnsinniger Trip in das Privatleben des Künstlers angesichts irritierender Codes, die das verwendete Medium betreffen: Ist das Videokunst?, Performancekunst?, Skulptur?, Malerei?, oder was nun? Die Videos «Remissionem Peccatorum» (1994) und «Italian High Renaissance and Baroque Sculpture» (1993) erinnern an die Endurance-Performances der siebziger Jahre, doch Landers mimt Haltungen bekannter klassischer Skulpturen, bricht und konterkariert damit die ikonische Realzeit und den Anspruch des Authentischen dieser Videokunstform mit Ikonen künstlerischer Virtuosität.
Landers lässt uns und sich in zahlreiche Authentizitätsfallen treten, er steht uns immer wieder in einer Art und Weise nackt gegenüber, die jede Art von voyeuristischer Befriedigung scheitern lässt und in eine Scham wandelt, die sich beim Gedanken oder vielmehr der Beurteilung der Scham des ‘Idioten’ oder Entblössten einstellt – Eigentore in vorschnellen Kategorien und Einschätzungen schiessen, ist eine wiederkehrende Erfahrung mit dem Werk von Sean Landers.
Sämtliche Prototypen des Subjektes/des Künstlersubjektes als ‘Idioten’ und der Kunst als ‘Idiotie’ sind inzwischen in seinem Werk zum Einsatz gekommen: Der ‘idiot savant’ des 20. Jahrhunderts mit Landers-spezifischen, die Authentizität ad absurdum führenden Selbstentäusserungen; die ‘Singerien’, die im 18. Jahrhundert als Topos für die zweifelhafte, nachäffende, manipulierbare Rolle des Künstlers und der Kunst eingeführt werden – «I’m a Clown in a World of Chimps» (1994) oder «Singerie: Le Peintre» (1995), «Space-Ape on Mars/Self-Portrait» (1997) u.a.; der Clown in den wechselnden Versionen, in denen er seit dem 19. Jahrhundert in die Kunst und Kulturgeschichte als allegorisches Bild des Scheiternden und Tollpatschigen und als grandiose Maskierung des Selbst gespielt hat (u.a. bei Picasso, Rouault, Beckmann, Nauman, Borofsky, Rondinone, Cattelan, um nur einige zu nennen...). Und dann natürlich Sean Landers’ persönliche Ahnengalerie der grossen Künstler und ihrer Werke: Hogarth, Picasso, Matisse (seine ‘idiotische’ Phase, die ‘période vache’), Picabia, Michelangelo, Bellini, Ernst, Duchamp, De Chirico, Magritte, Dali, Braque, Beckmann, die als Pasticcios in den Werken des Künstlers Eingang finden oder als Geister oder Masken ihrer selbst in seinen Bildern präsent sind – «Ghost 1 (Ernst)» (2003) oder «Elf (Braque)» (2003) u.v.a.
Bei Sean Landers kann eine Aufzählung der ‘Helden’ und ‘Vorbilder’ in der Kunstgeschichte nicht ausufernd genug sein, da er immer wieder sein ‘Meisterstück’ kreiert: in einer Gegenwart, die voller Referentialität und kollektiven Konventionen der Rezeption ist, ein eigenständiges ‘Bild’ mit den vorhandenen Bildern der Welt zu schaffen.
Sean Landers’ letzte Werkgruppe führt die ‘Genealogie’ seines Kunstkosmos konsequent weiter: Seine neuesten Bilder sind Landschaften mit Versatzstücken seiner eigenen Bekenntnisse. Sie sind eine Art malerisch ausgefeilte Visuelle Poesie, die das Genre erhabener Landschaftsmalerei kontaminieren und zugleich seine frühen Texte und Textbilder («36 Hours», 1995) als ‘Geister’ referieren – und damit das Authentische als Wahrnehmungskriterium seiner Kunst erneut persiflieren.

Gefördert von der Kultur-Stiftung der Deutschen Bank

Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich