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Reading Rämistrasse #143: Tobias Bärtsch zu Bernhard Schobinger bei Galerie Francesca Pia - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #143: Tobias Bärtsch zu Bernhard Schobinger bei Galerie Francesca Pia

Die Galerie Francesca Pia zeigt Schmuck und Skulpturen des Schweizer Künstlers Bernhard Schobinger. In Against Method sind 70 Arbeiten, von den '80er Jahren bis heute, zu sehen. Mit ausrangiertem Gerümpel, Scherben, Drähten und anderem, was niemand mehr haben will, erweitert Schobinger, was als Schmuck angesehen werden kann. Zwischen angewandter und bildender Kunst schwingend, agieren die Schmuckstücke und Kunstwerke wie trojanische Pferde, um unsere vorgefertigten Ideen über materielle Kultur zu unterwandern und uns mit geistreichen Geschichten zu überraschen.

Tutti Kabutti, eine Halskette von 1980/81, kombiniert Gold mit Kunststoffresten von einer Baustelle, während ein unbetitelter und nicht datierter Ring aus einem korrodierten Uhrwerk und Gold besteht. Präsentiert in den sterilen und unvermittelten Vitrinen wird klar, dass die Arbeiten nicht den Anspruch erheben, verzierte Objekte der Begierde zu sein. Vielmehr sind sie Werkzeuge der Erkenntnis, welche uns Widersprüche über Wertvorstellungen und Schönheit vorführen, denn die Transformation von banalen Alltagsgegenständen und Schrott zu wertvollen Schmuckstücken ist doppeldeutig: Einerseits könnten die Arbeiten als Kritik am Konsumismus und an der Wegwerfgesellschaft gesehen werden, wo selbst Müll upcycled und zu etwas Begehrtem erhoben wird. Andererseits spiegeln sie eine tiefe Sehnsucht nach Einzigartigkeit und Authentizität wider in einer Welt, in der alles massenproduziert und austauschbar scheint.

Installationsansicht, Bernhard Schobinger, Against Method, Galerie Francesca Pia, Zürich, 2024

Photo: Cédric Mussano. Courtesy the artist, Galerie Francesca Pia and Martina Simeti.

Die Ausstellung bietet auch Skulpturen ausserhalb der Vitrine genügend Platz. Ein unter Wasser gefundener, verrosteter Spielzeuglastwagen, erdrückt von seiner Ladung, einem üppigen Rauchquarz «gesichert» mit einer Goldkette, wirkt wie ein spöttisches Symbol der menschlichen Anstrengung. In der Vergänglichkeit, im Verfall des verlorenen Spielzeugs liegt der nostalgisch-sentimentale Wert, ein Wert, der in direktem Gegensatz zu den seltenen und sozial aufgeladenen Materialien wie Edelsteinen, Gold oder Diamanten steht.

In Anlehnung auf Paul Feyerabends Buch Against Method, verweigert sich Schobinger den traditionellen Methoden und Normen der Kunst und des Handwerks. (1) In der radikalen Kritik an mutmasslich universellen wissenschaftlichen Methoden, welche den Fortschritt des Wissens leiten, argumentiert Feyerabend, dass ein solcher Methodenzwang die wissenschaftliche Kreativität und somit den Fortschritt hemmt. Thesen sind bekanntlich nur solange gültig, bis sie von Antithesen widerlegt werden und Kunst ist besser, wenn sie veraltete methodologische Regeln und Kategorien ablehnt und sowas proklamiert wie: anything goes.(2) Aber was passiert mit einem Werk wie Gift/Poison, 2011, wenn der Armreif, gemacht aus einer gefundenen Glasflasche, aus der Vitrine genommen und getragen wird? Oder wenn man sich eine Halskette aus Scherben anzieht? Man schneidet sich vielleicht heftig und legt das Stück wieder zurück. Ist die Verletzungsgefahr, die beim Tragen solcher Stücke entsteht, nicht ein Beispiel für die Risiken, die wir eingehen, wenn wir von Normen abweichen und versuchen, Schönheit im Schrott zu finden?

Bernhard Schobinger, Gift, 2011

Courtesy the artist, Galerie Francesca Pia and Martina Simeti

Im Gegensatz zu Against Method (Gegen die Methode), was eine generelle Ablehnung methodischer Herangehensweisen ausdrückt, bezieht sich eine Gegenmethode spezifischer auf die Entwicklung einer alternativen Methode, die sich in Kontrast oder Opposition zu einer etablierten Methode stellt. Schobingers experimentelles Schaffen kann als «gegen die Methode» sowohl als «Gegenmethode» verstanden werden. Unterschiedliche Betonungen des Ausstellungstitels implizieren ja das eine, oder das andere.

Abschliessend ist es schwierig zu sagen, ob Schobinger uns ein Spiegel vorhält, welcher die Absurdität unseres Daseins reflektiert – unsere verzweifelten Versuche, Bedeutung und Schönheit zu finden, wo keine mehr ist – oder ob der anarchistische Optimismus in seinen Werken Vorbilder post-apokalyptischer Schrott-Utopien sind.

(1) Paul Feyerabend, Against Method: Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge, 4. Ausg. (London: Verso, 2010)
(2) «anything goes» - Schlagwort geprägt von Feyerabend

Bernhard Schobinger, Against Methods, Galerie Francesca Pia, Limmatstrasse 270, 28. Februar–6. April 2024

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