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Reading Rämistrasse #140: Benedikt Bock zu Gina Folly und Judith Kakon bei unanimous consent - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #140: Benedikt Bock zu Gina Folly und Judith Kakon bei unanimous consent

Die Ausstellung copycat von Gina Folly und Judith Kakon ist keine Duo-Show zweier Künstler:innen und deren jeweiligen Praxis, sondern die räumliche Installation einer Freundschaft, die sich durch 24 fotografische Selbstporträts der Künstlerinnen auf die Betrachter:innen überträgt und von Hingabe, Fürsorge und Zuwendung erzählt.

Wie geht es dir? How is LIFE?

Ich stehe auf dem grauen Teppichboden des Ausstellungsraums unanimous consent in Zürich. Mir fällt sofort auf, dass die weissen Stellwände fehlen, die einmal in den Raum hineingebaut wurden, um daran Kunst anbringen zu können. Die Stahlkonstruktion, an der die Wandplatten sonst angebracht sind, ist noch übrig. Auf den beiden Gerüsten sind jeweils zwölf Porträtfotografien montiert. Sie unterscheiden sich in Materialität, Druckverfahren und Format.

Gina Folly & Judith Kakon, Copycat, unanimous consent, 2024

Foto: Philip Ulrich 

Was denkst du über dieses Bild?

Konzeptuell ist die Ausstellung simpel. Nach dem Prinzip Ich fotografiere dich und du fotografierst mich haben sich Gina Folly und Judith Kakon gegenseitig durch die Kamera beobachtet, porträtiert und dann als copy in der Ausstellung materialisiert. Dabei sind jeweils zwölf Porträts in einer Reihe an den beiden Fensterfronten des Raumes installiert und stehen sich auf diese Weise gegenüber. Innerhalb dieser installativen Arbeit richten sich die Blicke der beiden Künstlerinnen aufeinander, auf die Fotografie als Medium und das Porträt als Sujet. Gebrauchsgegenstände wie Vorhänge, transparente Hohlkammerplatten und Verpackungsmaterial aus Karton (LOVA, EPSON) werden zu Bildträger:innen und verwandeln die traditionell starren fotografischen Präsentationsformen zu einem formalen Spielplatz (PLAY). Es macht grossen Spass, die unterschiedlichen Oberflächen mit den Augen abzutasten. Mir wird klar, dass sich die Materialien zum einen auf die Fotografie beziehen (bedrucktes Passepartout, Baryt-Papier oder Folie) und sich zum anderen als eine Art Doppelgänger (copycat) in der gegenüberliegenden Bildreihe spiegeln. Dabei sind alle 24 Porträts mit UV-Direktdruck angefertigt, ein Digitaldruck, bei dem die Tinte von einer Druckmaschine auf eine Oberfläche übertragen wird und erst aushärtet, nachdem sie von ultraviolettem Licht bestrahlt wurde. Copycat – ein gemeinsames Kunstwerk im Zeitalter seiner digitalen und technischen Reproduzierbarkeit.

Gina Folly & Judith Kakon, Copycat, unanimous consent, 2024

Foto: Philip Ulrich 

Hast du gut geschlafen?

Ich stehe auf dem grauen Teppichboden des Ausstellungsraums und damit zwischen den beiden Künstlerinnen, die sich aus den Bildern heraus gegenseitig, aber auch mich, betrachten. Hinter den Bildern dringt das Tageslicht durch die Fenster und macht einige von ihnen durchsichtig. Die Bildausschnitte sind nah, zum Teil sogar angeschnitten. Viele der Porträts wirken natürlich und sanft und warm. Andere eher fragend, abwesend oder durchdringend. Gesichter in Zwischenmomenten, die so fein und unscheinbar sind, dass wir sie erst wahrnehmen, wenn wir eine Person wirklich gut kennen. Dass diese Momente hier an den Gesichtern lesbar werden, berichtet mir von einer dauerhaften Beziehung und einem respektvollen Raum, in dem es gewünscht ist, sich dem Gegenüber zu zeigen und durchsichtig und transparent zu werden. Gleichzeitig deutet es darauf hin, dass die Bilder dahingehend gezielt ausgewählt wurden. Die Porträts entsprechen nicht dem männlichen Blick auf das weibliche Subjekt innerhalb der Geschichte der Fotografie, sondern schliessen die Betrachter:in mit ein, fordern heraus und halten stand.

Gina Folly & Judith Kakon, Copycat, unanimous consent, 2024

Foto: Philip Ulrich 

Ich weiss genau, wie du aussiehst, wenn du an Schokolade denkst. Oder wenn du unsicher, müde oder nachdenklich bist. Mir ist es wichtig, was du denkst und fühlst. Ich möchte für dich genau so transparent sein, wie du für mich. Kann ich dir irgendwie helfen?

Copycat erzählt mir von Zuwendung. Zuwendung zweier Künstlerinnen zueinander und Zuwendung zu mir als Betrachter. Copycat ist eine Arbeit, die den Künstlerinnen «dabei hilft, die Zeiten, in denen wir leben», durch Fürsorge und Nähe «zu verarbeiten, was ihnen wiederum dabei hilft, ihr Leben zu leben.»[1] Als Betrachter:in werde ich zum Gast und eingeladen, diesen sorgsamen Raum zu betreten, was mir wiederum hilft, mein Leben zu leben. Copycat ist das Ergebnis «geduldiger Arbeit»[2], wie Freundschaft und Kunst, deren Qualität darin besteht «sie herzugeben, zu verschenken» und sie für andere zugänglich zu machen.

Gina Folly & Judith Kakon, Copycat, unanimous consent, 2024

Foto: Philip Ulrich 

Gina Folly & Judith Kakon, Copycat, kuratiert von Roger Meier, unanimous consent, Elias-Canetti-Strasse 7, 8050 Zürich-Oerlikon, 15. Januar–17. Februar 2024

[1] Freiheit, Maggie Nelson, orig. On Freedom. Four Songs of Care and Constraint, 2021, Übers. Cornelius Reiber, Carl Hanser Verlag, Berlin 2022, S. 346v
[2] ebd., S. 32 – 33

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