Klara Lidén
Over out und above
Text zur Ausstellung in leichter Sprache
Fanny Hauser zu Klara Lidén
Mit Over out und above präsentiert die Kunsthalle Zürich die erste institutionelle Einzelausstellung der in Berlin lebenden Künstlerin Klara Lidén (geb. 1979, Stockholm) in der Schweiz. Anhand zahlreicher Neuproduktionen sowie einer Auswahl jüngerer Arbeiten liefert die Ausstellung einen umfangreichen Einblick in die vielschichtige Arbeitsweise der Künstlerin und ihre Auseinandersetzung mit den physischen, psychologischen und sozialen Grenzen von öffentlichem und privatem Raum.
Lidéns künstlerisches Vokabular reicht von architektonischen Interventionen im städtischen und institutionellen Kontext bis hin zu performativen, oftmals widerständigen Aktionen, die das gesellschaftliche und soziale Gefüge des urbanen Raums befragen. Auch die materielle Aneignung des sie umgebenden Raums ist zentraler Bestandteil von Lidéns Praxis, in der sie Objekte aus dem städtischen Inventar in den Ausstellungsraum überführt.
Im unteren Stockwerk der Kunsthalle Zürich verdichtet sich eine Reihe von Skulpturen zu einer urbanen Landschaft. Square Moon, 2025, erhebt sich wie eine Strassenlaterne über den Ausstellungsraum und tritt in Dialog mit weissen Leuchtkästen, deren ursprüngliche Beschriftung durch die Künstlerin entfernt wurde. Mit Untitled (Holes), 2025, setzt Lidén ihr Prinzip des détournement fort: Die Arbeiten bestehen aus Bohrkernen: Betonzylinder, die sich als Ausschnitte des urbanen Tiefengewebes, den unterirdischen Schichten von Strassen, Mauern und Fundamenten, manifestieren. Der unscheinbare Titel der Serie lässt nicht zuletzt an Lidéns eigene künstlerische Strategie denken – eine Praxis der Umkehrung, des Entfernens und Herauslösens, die sich durch ihr gesamtes künstlerisches Schaffen zieht.
Dass öffentlicher Raum nicht nur materiell codiert, sondern immer auch performativ ist, wird auch in Lidéns Arbeit Gang Gang Gang, 2025, deutlich. Die modulare Skulptur besteht aus provisorischen Durchgängen, wie sie zum Schutz von Fussgänger:innen auf Baustellen verwendet werden. Schichten von Graffiti, Schmutz und anderen Gebrauchsspuren haben sich auf den Holzpaneelen abgelagert, die nun stellenweise von der Künstlerin mit reflektierender Farbe bearbeitet wurden. Die gefundene Architektur lädt dazu ein, sich durch und um die Elemente herumzubewegen und dabei nicht nur deren sonst unscheinbaren oder selbstverständlichen Eigenschaften wahrzunehmen, sondern auch zu verdeutlichen, wie sie im städtischen Alltag eingesetzt werden.
Im Obergeschoss tritt der Körper – als Medium mit Handlungsmacht ebenso wie als Objekt räumlicher Regulierung – auch in der monolithischen Präsenz der beiden geschlossenen Kuben Ring (Nuts), 2025, und Ring (Zomb), 2025, hervor. Gefertigt aus Baustellenzäunen erinnern die grossformatigen Skulpturen an die reduzierte Formensprache der Minimal Art. Ihre Platzierung am Eingang zur Ausstellung sowie vor den beiden Fenstern des Raumes konfrontiert die Besucher:innen mit Fragen von Zugänglichkeit und Ausschluss – und schafft zugleich Nischen und Durchgänge für weitere Arbeiten. Untitled (Trashcan, Luxemburg), 2025, ist Teil von Lidéns gleichnamiger Serie – eine fortlaufende Sammlung von Abfallbehältern aus unterschiedlichen Städten. Im Ausstellungsraum werden die Objekte ihrer ursprünglichen Funktion entledigt und wirken wie Porträts ihres jeweiligen Herkunftsorts.
In grossformatigen Dia-Projektionen rückt schliesslich auch die eigene physische Präsenz der Künstlerin in den Fokus. Die handgefertigten Dias – tintenstrahlgedruckte Videostills, die auf transparente Acetatfolie übertragen, von Hand geschnitten und in Dia-Rahmen montiert wurden – werden in unterschiedlichen Grössen auf die Wände projiziert. Sie zeigen die Künstlerin bei neuen performativen Aktionen, die eigens für diese Ausstellung entstanden sind. Die grobkörnigen Schwarz-Weiss-Bilder dokumentieren Lidéns slapstickhafte Versuche, sich von sozialen Regeln und Konventionen zu befreien. Ob sie über ein Zürcher Wehr läuft, ihr Fahrrad in Berlin repariert oder Teile ihrer Arbeiten durch die Strassen transportiert – «die Frage, wie man sich privatisierten Stadtraum wieder aneignet, beginnt irgendwie immer mit dem Körper, bei seiner Art und Weise sich zu bewegen, und den Zeitlichkeiten, in die er eingebunden ist», so Lidén.
Ihrem ursprünglichen Kontext entnommen – angeeignet, versetzt und ausgestellt – erscheinen Lidéns Arbeiten selbst wie Körper oder Akteure, mit denen Besucher:innen konfrontiert sind. Ihre Existenz bezieht sich jedoch nie nur auf den öffentlichen, städtischen Raum, sondern kann immer auch entlang institutioneller Strukturen und Beschaffenheiten verstanden werden. Denn öffentlicher Raum entsteht schliesslich immer auch dort, wo Körper sind – ob im urbanen Umfeld oder dem institutionellen Kontext der Kunsthalle Zürich.
Kuratiert von Fanny Hauser.
Die Ausstellung wird unterstützt durch philaneo, einem gemeinnützigen Verein, der zeitgenössische Kunst ideell und finanziell fördert. Der Verein unterstützt in enger Zusammenarbeit mit internationalen Künstler:innen, Kurator:innen und Institutionen die Produktion neuer Werke sowie Ausstellungsprojekte und Ankäufe für öffentliche Sammlungen.
Mit besonderem Dank an Galerie Neu, Berlin, Sadie Coles HQ, London, und Reena Spaulings Fine Art, New York, sowie an die schwedische Botschaft in Bern, Zeppelin Rental GmbH, Interbohr AG, Britta Bökenkamp und Bernd Lager.
Im Frühjahr 2026 erscheint eine Monografie über Klara Lidéns Werk, herausgegeben von der Kunsthalle Zürich und den KW Institute for Contemporary Art, Berlin.