Neo Rauch
Dass Neo Rauch in Leipzig geboren wurde und dort an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert hat, ist als biografischer Hintergrund von Bedeutung. Denn der nachwievor in Leipzig lebende Maler nimmt für seine überraschenden und irritierenden Bildfindungen seine eigenen Kindheitserinnerungen zum Ausgangspunkt, die gesellschaftliche Konditionierung und Bildsprache in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. In seiner ersten Einzelausstellung in der Schweiz, die in Zusammenarbeit mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig und dem Haus der Kunst München projektiert wurde, werden Olbilder auf Leinwand und Papier gezeigt, die ab 1993 bis jetzt entstanden sind. Seltsam fremd stehen Neo Rauchs Figurationen in unserer Zeit und erzeugen in ihren vielschichtigen Segmentierungen der Bildfläche und mehrfach gebrochenen Realitätsebenen doch wirksame Gegenbilder. Sie existieren in der Schwebe parallel zur Wirklichkeit der Wahrnehmungen, Erinnerungen und Träume. Das schablonenhafte Bildpersonal posiert in plakativen Gesten und scheint in angehaltener Zeit vor folgenreichen Taten in der realen Welt geschützt, obwohl es tatkräftig in der Küche, im Filmvorführraum, in der Fabrikhalle oder mit Panzern hantiert. Im Farbklima der früheren DDR sind Rauchs Bilder ein schemenhafter Nachklang einer ortlos gewordenen sozialistischen Utopie, die sich traumverloren in die Reflexion des Heute blendet.
Seine figurative Malerei ist nicht im klassischen Sinne abbildhaft, wie etwa noch bei seinem Lehrer Bernhard Heisig, sondern bildet die Abbildung ab, darin vergleichbar mit anderen Protagonisten zeitgenössischer Malerei. Ein verblichenes Inventar wird aufgegriffen und zu einer geradezu verrätselten Geschichtsschreibung ohne Handlungszusammenhang geführt. Sie trifft Irrationales und ist sich doch ihrer Mittel bewusst. Und dieses Bewusstsein führt gleichzeitig zu einer Reflexion der Künstlerexistenz und der Malerei selbst. So tauchen denn im Bildgefüge immer wieder Farbpaletten oder Staffeleien als zeichenhafte Referenzen auf, und Farbschlieren und Tropfspuren weisen auf die Bilderzeugung. Weiter wird die Buchstäblichkeit des Gemalten von begrifflichen Zitaten unterstrichen, die oft in den Gemälden aufscheinen, wie etwa das signifikante Wort "Ende" im Werk "Akademie im Walde" (1998), das im Himmelsgeviert über einem Landschaftsstrich prangt.
Die gebrochene Farbigkeit der früheren Bilder frischt sich in den jüngsten Werken auf. So zeigen sich im Bild "Sturmnacht" (2000) Primärfarbenkontraste, die das prototypische Spannungsfeld zwischen Innen- und Aussenwelt aufladen. Es baut sich zwischen imposanten Jägern (oder Grenzschutzbeamten) und zerborstenen Baumstämmen einerseits und einem mickrig dimensionierten Schläfer andererseits auf, der sich wohl in seinem bauhausartigen Riesenbett der Apathie des Alptraums hingibt. Der Uberblick über die in den letzten Jahren entstandenen Bilder zeigt, dass Rauch durch und durch Maler ist, der die vieldeutige Bildkombinatorik mit Verve durchpulst, ihr Taktilität und selbstverständliche Präsenz verleiht.