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Eija-Liisa Ahtila

15.06.–11.08.2002

Die finnische Künstlerin Eija-Liisa Ahtila tritt seit Ende der 80er-Jahre mit einem komplexen und für viele jüngeren Künstlerinnen und Künstler einflussreichen Werk im Bereich von Fotografie, Film- und Videoarbeiten hervor. Ihre filmischen Episoden zeichnen sich durch einen scharfsinnigen Umgang mit visuellem Denken und Erzählen aus. Die Künstlerin bespielt die ganze Breite medialer visueller Kultur und schafft in ihren Arbeiten Bildwelten, die die Wirkungsweisen und Stile gängiger Filmgenres wie Kurzfilme, Werbefilme und den Kino- oder Dokumentarfilm berühren und zur Diskussion stellen. Die Künstlerin verwebt die Genres in ihren Fotografien, Filmen, Videos zu schwebenden neuen Bildwelten, die Vertrautes unbekannt werden lassen. Ihre ”Erzählungen”, die Realität, Fiktion und Surrealität in Beziehung setzen und eine neue Sprache des Erzählens konstituieren, handeln von der Beschaffenheit alltäglicher Erfahrungen. Sie handeln von Fragen nach der Identität des Individuums, von den Formen unseres Zusammenlebens und der Positionierung des Menschen in einer mediengeprägten, zunehmend von Fiktionen und Simulationen durchsetzten Welt.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich zeigt neben frühen und neuesten fotografischen Arbeiten eine Übersicht des filmischen Schaffens der Künstlerin in Form von Monitorinstallationen, Videoprojektionen und Filmscreenings. Die Auswahl der Videoarbeiten umfasst: Nature of Things (1987), Me/We, Okay, Gray (1993), Today (1997), Consolation Service (1999), The Wind (2001) und The Present (2001).

Menschliche Emotionen wie Liebe, Sexualität, Eifersucht, Wut, Verletzlichkeit, persönliche Krisen und die Strukturen und Variationsmöglichkeiten menschlicher Verhaltensmuster sind zentrale Themen der Arbeiten Eija-Liisa Ahtilas. Die Versöhnung oder Aussöhnung mit dem unauflöslichen "menschlichen Drama" der Existenz spielen dabei eine zunehmend wichtige Rolle.


Ihre Filme gehen immer von einer intensiven Untersuchung dokumentarischen Materials aus, das sie in die Fiktionen ihrer "Dramen" überführt. Die Entwicklung einer eigenständigen Bildsprache (die in den neueren Arbeiten vermehrt malerische Aspekte in das Filmmedium integriert) , Sprache (in ihrer Möglichkeit Fiktionen zu kreieren, von der Bildinformation abzuweichen und in ihren performativen Aspekten), unkonventionelle Formen des Narrativen und die Art und Weise, wie das Publikum ihre Arbeiten in Raum und Zeit erleben kann, sind wichtige Elemente ihrer aussergewöhnlichen Film- und Bildwelten. Und immer offenbaren ihre Arbeiten in der Darstellung banaler Normalität die Brüche, Verletzlichkeiten und Abgründe zeitgenössischer Identität.


Die Beeinflussungen unserer Selbst- und Wirklichkeitserfahrung durch Film, Fernsehen, Internet und Werbung, die Medien allgemein sind vielfältig. Die Bildwelten sind konstitutiver Teil unserer Wirklichkeit und greifen nicht zuletzt ein in die Konstruktion unseres Selbst, das sich positionieren muss angesichts ambivalenter Realitäten: Zwischen privaten und öffentlichen Bildern des Subjekts, zwischen realem Erleben und fiktionalen Identifikationen. Eija-Liisa Ahtila arbeitet mit den Bedingungen und Wirkungsweisen dieser zeitgenössischen visuellen Kultur. Ihre Filme/Videos präsentiert sie sowohl via die Medienkanäle wie Fernsehen und Kino, als auch in speziell für jeden Film erarbeiteten Videoinstallationen, die Räume und Situationen schaffen, in denen wir in bis ins letzte Detail gestaltete Ensembles eintauchen. Ihre Videoinstallationen erzählen Geschichten in multiplen Erzählebenen, die als synchronisierte oder parallelisierte Bildspuren nebeneinander laufen: Orte, Menschen, Stimmen, Rhythmen wechseln von einer Filmebene in die andere und kreieren einen nicht linearen Erzählfluss. Das Zusammenspiel aller erzählenden Ebenen thematisiert zeitgenössische Wahrnehmungsüberforderung, die Unsicherheit der Position des Subjektes, die Komplexität der Wirklichkeitserfahrung. Als paralleler Fluss gleichzeitiger Projektionen mehrerer Bildebenen und als diskontinuierlicher Strom von Informationen zwingen ihre Arbeiten den Betrachter dazu, eine eigene Erzählung zu konstruieren, seine Version eines Realitätsbegriffes zu finden.


Eija-Liisa Ahtilas Filme betreffen den Erfahrungsschatz jedes Menschen. Sie sind zugleich persönlich wie allgemeingültig, weil ihre Geschichten, ihre Ereignisse überall passieren könnten. Das Leben in Städten, die Schulzeit, das Elternhaus, Pubertät, Sexualität, Ehe, Beziehungs- und Persönlichkeitskrisen. Sie machen standardisierte Normalität in ihrer Zerbrechlichkeit erlebbar. Banales wird surreal, Normalität befremdet. Die Protagonisten ihrer "Dramen" sprechen mit der Stimme eines fiktiven Partners oder ihres eigenen abgespaltenen Ichs als Gegenüber; sie "spielen" sich selbst, kommentieren ihre Situation, proben den Ausstand oder nehmen sich die Stimmen ihrer Partner oder Familienmitglieder zur eigenen. Immer wieder wenden sie sich an das Publikum, das als reale Referenz ihrer Erzählungen in Funktion treten soll, kann oder muss. Sprachformeln werden zu musikalischen Rhythmen, gescheiterte Kommunikation führt zu verzerrten Interpretationen und Rollenwechseln. Einschränkungen durch Konventionen und emotionale Bindungen sind ebenso bedrohlich wie die Einsamkeit. Die Menschen in Eija-Liisa Ahtilas Filmen sind getrieben durch die heterogenen Aspekte unserer Realität: Durch verunsicherte Lebensstile und Rollenmodelle, durch die Obszönität der permanenten Veröffentlichung des Intimsten wie sie etwa in den allgegenwärtigen Talk-Shows geschieht, durch Kino- und Werbewelten, Nachrichtenflut und die medial intensivierte Untrennbarkeit von öffentlich und privat, real und fiktiv, banal und schockierend.

Eija-Liisa Ahtila (geboren 1959 in Hämeenlinna, Finnland) nimmt mit der Videoinstallation »The House«, die eine weitere Realisierung aus dem Filmmaterial der in Zürich gezeigten Arbeit »The Present« ist, an der Dokumenta XI in Kassel teil. Wichtige Einzelausstellungen 2002: KIASMA Museum of Modern Art, Helsinki; Tate Modern, London. Eija-Liisa Ahtila, die sich 1998 mit drei Videoinstallationen in der Schweiz zum ersten Mal vorstellte, wurde mit renommierten Preisen wie u.a. dem Vincent van Gogh Award for Contemporary Art, dem Coutts Contemporary Art Foundation Award, dem Anerkennungspreis der Biennale Venedig und dem Videokunstpreis des VIPER – Festivals ausgezeichnet.