Anselm Reyle
ARS NOVA
Die Arbeiten des deutschen Künstlers Anselm Reyle sind in den letzten Jahren vor allem im Kontext einer Neubetrachtung der Moderne durch eine junge Generation von Künstlerinnen und Künstlern rezipiert worden. Mit der Ausstellung ARS NOVA in der Kunsthalle Zürich stellt sich der Künstler zum ersten Mal in einer Einzelausstellung im Schweizer Kontext vor. Er taucht in seiner Ausstellung die Besucher in eine Raummalerei aus Neonfarbe, stellt sie vor abstrakte Bilder im Grossformat, die seine Arbeit auch in den kunsthistorischen Kontext der Schweiz binden, indem er sie auf Arbeiten von Ferdinand Hodler (Sonnenuntergang am Genfersee, 1915) oder Fernand Léger (Les deux figures nues sur fond rouge, 1923), ein Bild, das sich in der Sammlung des Kunstmuseums Basel befindet) bezieht. Andere kunsthistorische Kick-offs finden sich in den abstrakt-fraktalen Arbeiten des Malers Otto Freundlich, aber auch in der mit dem Modernismus immer wieder assoziierten afrikanischen Skulptur, die Reyle in Form einer ins Monumentale vergrösserten, verchromten Version einer Flohmarkt-Schnitzskulptur anwesend sein lässt und der mit allen Mitteln und Farben blendenden Skulptur aus einem Haufen gefundener Neonröhren. Reyle komponiert ein ambivalentes Feld, das die Form einer überzeichneten, pervertierten Ausstellung moderner Kunst einnimmt und vielleicht gerade deshalb konstruktiv für die Autonomie der Gegenstände werden kann.
ARS NOVA, der fremd, unangemessen anspruchsvoll klingende und auf eine andere Interpretations- und Produktionszeit verweisende Titel, den Anselm Reyle für seine Ausstellung in der Kunsthalle Zürich wählt, war ursprünglich die Bezeichnung für eine neue Musiktheorie im Mittelalter. Inzwischen wird sie für unzählige Musiklabels, Orchestervereinigungen, eher zweifelhafte Künstlergruppen, für Computersoftware, eine Möbelkollektion und eben auch eine Künstler-Farbenmarke verwendet, die der deutsche Künstler Anselm Reyle (geboren 1970) für seine Arbeiten einsetzt. ,Neue Kunst‘ als Titel einer zeitgenössischen Ausstellung eines zeitgenössischen Künstlers – das desorientiert unsere Wahrnehmung ungefähr so, wie die erste Begegnung mit den Werken Anselm Reyles selbst. Anselm Reyles Gemälde, Materialbilder, Skulpturen und Ready-Made-Objekte aus Alltagsgegenständen (immer wieder Lampen und Vasen, aber auch Gegenstände aus dem nicht-häuslichen Umfeld) und seine komponierten Installationen aus all diesen Werkelementen erinnern den Betrachter an das gesamte kunstgeschichtliche Repertoire abstrakter Bildfindungen, an die Verführungs- maschinerie der Pop- und Posterkultur (siehe Vasarely) ebenso wie an den guten Geschmack einer ins Alltagsdesign domestizierten Moderne, die zusammen nun mit ausgefeilten Lichtlösungen in Magazinen für Innenraumgestaltungen angepriesen wird. Silberfolien, Neonfarben, Spiegel, Chromfinish, Neonröhren – Anselm Reyles Werke verfangen den Betrachter in ihren Oberflächen und tauchen ihn ein in Farb- und Lichtstimmungen. Dafür produziert Reyle Streifenbilder, die ebenso sehr das Fernsehtestbild wie den Amerikanischen Expressionismus herbeizitieren, er spielt den kunsthistorischen Bildtypus der Monochromie und den Bildtypus der zufallsgeprägten Schütt- und Tropfbilder ebenso durch wie die Popversionen der Durchmischung von
High und Low und die diversen Typologien von Skulptur. Und natürlich tut er dies in allen Formaten: Handhabbare Dimensionen in häuslicher Manier bis überdimensioniert für den Kunst- oder öffentlichen Kontext. All dies wird zudem in dem ebenso unzeitgemäss erscheinenden Kontext eines assistentenreichen Künstlerstudios ,produziert‘, eine Praxis, die in perfider Verschränkung sowohl an die Werkstätten des historischen Künstlertypus, an die Serialität der Minimal Art als auch an die Grossmeiereien der Malerei in den 1980er und der industrialisierten Kunstproduktion der 1990er Jahre erinnert. Man kann sich angesichts der Arbeiten von Anselm Reyle und all dieser dem Zeitgemässen widersprechenden Insignien einer zunächst unangenehmen Faszination nicht entziehen, die eintritt, weil die Diskreditierung abstrakter Kunst in unserer Wahrnehmung ebenso gegriffen hat wie die Erschöpfung angesichts postmodernen Zitierens, und die dann gerade wegen ihrer intensivierten Ambivalenz für einen Begriff des Heutigen produktiv werden kann.
Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Luma Stiftung, Deutsche Bank Stiftung, DaimlerChrysler