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Philippe Parreno

May

09.05.–16.08.2009

Philippe Parreno (geboren 1964 in Oran/Algerien, lebt und arbeitet in Paris), der 2002 zusammen mit Pierre Huyghe für die Kunsthalle Zürich die erste umfassende Ausstellung aller Arbeiten mit der Manga-Figur „Annlee“ im Projekt «No Ghost just a Shell» realisierte, stellt sich mit «May» nunmehr in einer Einzelausstellung vor: In der Kunsthalle Zürich findet die erste Episode – oder das zeitlich und räumlich erste erlebbare Bild – in einer Reihe von Ausstellungen mit retrospektivem Charakter statt, die der Künstler in Folge im Centre Pompidou in Paris (3. Juni bis 7. September 2009), im Irish Museum of Modern Art in Dublin (4. November 2009 bis 24. Januar 2010) und im CCS, Bard College, New York (Frühling 2010), realisieren wird. Für jede der genannten Institutionen wird Parreno, ausgehend von einem besonderen Aspekt seines Oeuvres, ein spezifisches „Bild“ erarbeiten.

Philippe Parreno hat im Verlauf der letzten zwanzig Jahre ein wechselvolles und komplexes Werk geschaffen, das voll von Bezügen, mentalen Evokationen und Verhandlungen der Spielarten von Literatur, Philosophie, Science Fiction, dem Film, des Theaters, der Informationsformate wie Radio, Fernsehen und Internet ist. Auffällig ist, dass nicht die Konventionen der visuellen Kunstgeschichte, also der Malerei und Skulptur, verhandelt, sondern durch das Spiel mit Zeit, Prozessen und Formaten, die klassischen Vorstellungen von Kunst erörtert werden. Dabei nehmen Erinnerungen und Projektionen immer wieder eine wichtigere Rolle ein als das Objekt selbst.

“This film lasts for 11 minutes and 40 seconds but 48 hours after being removed from its sealed package it will disappear from the support through a process of oxidation. The film has stereo sound and a song featured at the end. There are no computer generated special effects in this production. What you see in the picture was constructed in order to be filmed. This is a story of a film that produced a building and the story of an architecture which provided the scenario for a film. The film is one element of a a two-headed mutant, one of two inseparable twins who share the same body. The building does exist somewhere in South East Asia.”

Diesen Klappentext schrieb Philippe Parreno für den Film „The Boy from Mars“ (2003), den der Künstler 2005 in der Friedrich Petzel Galerie in New York zeigte. Er platzierte DVDs des Films in einer Bücherwand und gab sie als Geschenk an die Besucher ab. Der sich nach Öffnen der Packung auflösende Film bildete zusammen mit der Bücherwand eine Arbeit, die den Eingang zur Ausstellung in der Galerie blockierte. Durch einen mysteriösen Drehmecha-nismus öffnete sich die Wand wie eine Schwingtür und gab Einlass in einen Raum, in dem die Gemeinschaftsarbeit von Philippe Parreno und Rirkrit Tiravanija gezeigt wurde.

Die beschriebene Installation und der genannte Film stehen für zentrale Themen im Werk des Künstlers: So ist eine herausragende Eigenschaft die Transformation von Genres, besonders die des Films in das Format der visuellen Kunst. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Untersuchung des Themas der Ausstellung per se. Eine „Retrospektive“ des Künstlers muss also eine Ausstellung als zentralen Gegenstand seiner Auseinandersetzung erfahrbar machen und ist mehr als eine Liste chronologisch relevanter und repräsentativer Werke.

Parreno schafft Situationen, die es den Dingen erlaubt, eine andere Form anzunehmen, wodurch spielerisch Neues in der bildenden Kunst etabliert wird. Diese Dinge werden genährt von den Geistern kunstfremder Formate: Er lässt sie zu Kino, Philosophie, Literatur, Wissenschaft oder Fiktionen werden, begrüsst und engagiert Mutanten und Hybride, die Imagination von Kreaturen und Wesen, die ihre Form in unserer Fantasie und Wahrnehmung immer wieder ändern. Dazu gehören Feen, Monster, Freaks, Geister und Gespenster, Phantome, Bauchredner, Doppelgänger, Hypnotiseure und Seher, Kinder, Roboter und andere intelligent handelnde Maschinen. Sie alle üben in den Werken imaginativ verwandelte, theoretisch begründete Kritik an den konventionellen Formaten von Exponat und Ausstellung mit den Mitteln des Märchens, des Films und der kollektiven Kreativität.

Der Künstler kreiert selbstständige (Film-)Wesen, und er verortet seine Ausstellungen in der Zeit wie im Titel «May» angedeutet. In einer kontinuierlichen Transformation seiner Arbei-ten findet Parreno zu immer neuen Formaten und Modellen möglicher Ausstellungsformen: Die Geister seiner Arbeiten kehren als Protagonisten ihrer eigenen Identität zurück.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich gibt einen Einblick in das Werk des Künstlers mit Arbeiten, die von den 1990er Jahren bis heute entstanden sind, auf mehreren erzählerischen und evokativen Ebenen: Neun „Marquee“-Arbeiten, die seit 2007 entstehen, verwandeln die Räume in ein glühendes Feld von möglichen Eintritten ins Filmtheater. Sie ähneln den mit Glühbirnen bestückten „Vordächern“ der Entertainment-Kultur der Welt und sind ergänzt durch die Leuchtreklame „Boy from Mars“ (2005), die den gleichnamigen, ebenfalls in der Ausstellung gezeigten Film von 2003 ankündigen könnte. Eine Reihe von Zeichnungen zieht sich als parallele Erzählung durch die gesamte Ausstellung: Monster, die der in New York lebende Kinderbuchillustrator Johan Olander zum Werk Philippe Parrenos entwickelt hat – Interpretationen eines Gesamtwerks – mutieren zu komischen, bedrohlichen, schockieren-den und erheiternden Ungeheuern. Sie werden von Parreno selber nochmals neu gezeichnet werden, der hierdurch einen Doppelsalto der Interpretation veranstaltet. So stehen die Monster in Kommunikation mit Arbeiten, die Sprache, weit verzweigte Erzählungen oder Fiktionen als Geister anwesend sein lassen: Hunderte von Ballonen in Form von Sprechbla-sen, Glaslautsprecher, Marionetten, Fotografien vom Künstler, der zu Tieren spricht, ein Film, der „ein Gebäude produziert“ hat und zahlreiche Geschichten, die die Monster der Zeichnungen beginnen wollen...

Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Swiss Re, LUMA Stiftung