Rosemarie Trockel
Verflüssigung der Mutter
In Ohne Titel (Wollfilm) (1992) dreht sich ein Frauentorso in einem zentralen Bildfenster in einer noch viel grösseren dunklen Bildfläche. Bei jeder Drehung dröselt ein offensichtlich aus dem Bild herausreichendereichenderagender Wollfaden ihresn Pullovers eine Maschenreihe weiter auf., Nnach einiger Zeit beginnt sich auch die nun als Strick erkennbare Bildfläche des Hintergrunds von unten nach oben aufzutrennen, bis der nackte Torso eins mit der leeren Projektionsfläche istist. Mit gewitzter formaler Leichtigkeit und inhaltlicher Präzision bringt Rosemarie Trockel mit diesem Video sowohl gewichti-ge Setzungen der Kunstgeschichte wie als auch CKodierungen und Modelle sowohl geistesgeschichtlicher und wie geschlechterspezifischer Prägung ins Wanken.
Stilistisch heterogen und medial weit verzweigt wirkt die 1952 in Schwerte geborene Künstlerin Rosemarie Trockel seit Ende der 1970er Jahre an einem international einzigartigen und bedeuten-den Werk, das Zeichnungen, zwei- und dreidimensionale Bild- und Materialcollagen, Objekte, Installationen, Strickbilder, Keramiken und Videos, Möbel, Kleidungsstücke und Bücher umfasst. Das Werk derie Künstlerin lässt sichlässt sich weder auf eine künstlerische Gattung beschränken noch auf eine Stilrichtung festlegen,; es; es verdichtet sich über die Intensität seiner Inhalte, die ein ebenso weit verzweigtes Assoziations- und Diskursnetz spannen und über Prämissen der westlichen philosophi-schen, theologischen und wissenschaftlichen Diskurse bis hinbis hin zu kulturellen Kodierungen, Rollen-modellen und Symbolen zu den Normierungen und kanonisierten Erscheinungsformen der Kunst reicht. All dies wird ausaus einer präzisen, explizit weiblichen Perspektive formuliert. Den Gemeinplatz des Feministischen aber führt die Künstlerin aufs Glatteis und ad absurdum, so etwa mit den seitab Ende der 1980er Jahre entstehenden Herdplattenarbeiten, die einen schwungdvollern Seitenhieb auf die minimalistische Ästhetik führensind, sowie mit dendie zum Markenzeichen der Künstlerin avancierten Strick-bildern, die das Klischee der gefälligen, handwerklich-mechanischen Prägung von Frauenhand geschaffener Kunst ebenso ironisieren wie die Konventionen der attackierten Kunstgeschichte.
Rosemarie Trockels „weibliche“ Perspektive reicht über die feministische Geste hinaus. Ihre Arbei-ten sind Formulierungen einer Autorin, die sich – ausgehend von den Kodierungen der eigenen Individuation – distanziert von Systemen, die soziale und sexuelle Identität und sowie kulturelle und geschlechtersbezogene Zwänge definieren.
Dies formuliert sich auch immer wieder in Arbeiten, die die Gegensatzpole von Bewusstemsein und Unbewusstem, kulturell Fformiertem und Unformiertem betreffen, wie in den zahlreichen Arbeiten, die die Künstlerin mit und um das Tier geschaffen hatformuliert hat: wie etwa die zwischen 1978 und 1990 entstan-dene Serie vonder Tierfilmen, die seit den späten 1980er Jahren entwickelten Modelle und Häuser für diverse Tierarten, das ie in das mit Carsten Höller für die documenta X 1997 entwickelte Projekt Haus für Schweine und Menschen und die in Bronze gegossenen „Gewohnheitstiere“ (u.a. Gewohnheitstier 3 (Dackel), 1990) der Künstlerin, die die unverbogene Gegenwärtigkeit der Tiere dem kontrollieren-den Bewusstsein der Menschen gegenüber stellen. Elisabeth de Fonteney sieht in den Arbeiten Rosemarie Trockels den „Anthropozentrismus unter Hausarrest“ und Markus Steinweg das Ver-hältnis „tierischer Lebendigkeit und menschlicher Geistigkeit“. Und au(Und) auch in den wiederkehrenden Arbeiten der Künstlerin, die um das Thema des Schlafes kreisen, – wie in der Installation für den deutschen Pavillon an der Biennale di Venezia (1999), den zahlreichen Zeichnungen und Arbeiten auf Papier und der neuen Serie vonder Sofas etwa (Watching and Sleeping and Composing, 2007) – wird das Potential der Aufhebung – oder wie Rosemarie Trockel es mit einem Seitenhieb auf Formulierungen von Joseph Beuys gerne ironisch pompös formuliert, – der Verflüssigung einschränkender Kontroll-mechanismen des Bewusstseins, thematisiert.
«„Verflüssigung der Mutter»“ betiteltnennt Rosemarie Trockel ihre Ausstellung für die Kunsthalle Zürich, die nach ihrem ersten Schweizer Auftritt 1988 in der Kunsthalle Basel und einer Ausstellung zu Arbeiten auf Papier im Museum für Gegenwartskunst in Basel (1991) sowie einer Präsentation ihrer und die im Kunstmuseum Basel ebenfalls in diesem Jahr stattfindenen Ausstellung (19 und...bitte noch nachschauen.) und Videoarbeiten 1994 im Centre d’Art Contemporain in Genf, nun einen umfassenden Einblick in das Werk der Künstlerin mit Arbeiten und Werkgruppen von dender frühen 1980er Jahren bis zu neu für die Ausstellung geschaffenen Werken gibt.
Die Ausstellung präsentiert sich als wohleingerichtete Abfolge von Räumen, in denen Werkgrup-pen in geordneter, minimalistischer Manier nacheinander erfahrbar werden: Möbel und Wandarbei-ten aus Keramik, grossformatige monochrome Strickbilder, Collagen, Videos und die neu interpre-tierte, erweiterte Installation S.hh.e.e. (2000/2005/2010), in der die gesamte Medienvielfalt der Künstlerin in einem animierten Kabinett zusammentrifft. In zwei überdimensionierten, in die Wände der Kunsthalle eingebauten „Raumvitrinen“, die die Künstlerin für die Ausstellung als zentrale Installationen entwickelt hat, findet die rückblickende „Übersichtsschau“ ihren Platz: Es sind dies, Kabinette, indie denen sich Signaturarbeiten wie Wollsiegelstricksachen, Eierarbeiten, verfilzte Woll-Ungeheuer wie der Sessel Atheismus (2007) oder Wasserköpfe aus der frühen Gruppe der Gipsobjekte (Hydrocephalus / Wasserkopf II, 1982) findenenthaltenpräsentieren, und in denen sich Herdplattenarbeiten in unterschiedlichen Versionenunter-schiedlichster Variationen wie der Herdplatten-Plattenspieler aus Pappe, dessen Tonabnehmer eine Stricknadel ist (Ohne Titel, 1991),, finden Platzfinden sich neben Mundplastiken (1989), Daddy’s Striptease Room (1990), Figuren, Körperfragmentenn, und Gebrauchsobjekten befindenn. Diesedie nehmen die „gewichti-gen“ Themen der Künstlerin in der Ausstellung auf und setzen sie im Zusammenspiel derr verdichteten „Vitrinen“ und der Auslegung im Raum mit Leichtigkeit in Bewegung setzen.
Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Swiss Re und Luma Stiftung