Heimo Zobernig
ohne Titel (in Red)
Mit der Einzelausstellung «ohne Titel (in Red)» von Heimo Zobernig (geb. 1958 in Mauthen/Kärnten, lebt und arbeitet in Wien) eröffnet die Kunsthalle Zürich ihre Ausstellungs-tätigkeit im Museum Bärengasse, wo sie während des Umbaus und der Renovation des Löwenbräu-Areals bis Juni 2012 zu Gast sein wird, und stellt einen Künstler vor, der mit seinem Werk seit den 1980er Jahren als eine der Schlüsselfiguren der österreichischen Kunstszene gilt. Seine Ausstellung gibt Einblick in ein Werk, das sich mit mannigfaltigem Witz und analytischer Präzision mit Themen des Minimalismus, mit der historischen Aufladung des Gegensatzpaars „Figürlichkeit vs. Abstraktion“ und der Problematik, was Kunst ist bzw. sein kann, ihrer Erscheinungsform und Funktion auseinandersetzt. Bezugnehmend auf die Räume der aus den 1670er Jahre stammenden Häuser des Museum Bärengasse, liegt der Fokus der Werkauswahl – die Ausstellung umfasst 11 Videoarbeiten, Karton- und Pressspanobjekte seit 1985 – auf den Themen der „Einrichtung“ sowie des „Lichts“ und spielt mit dem häuslichen Innenraum der ehemaligen Wohnhäuser. Für die Räumlichkeiten des Museum Bärengasse entwickelt Zobernig eine spezifische Lichtsituation: Er schliesst die Fensterläden der beiden frühbarocken Wohnhäuser und taucht den Ausstellungsraum anhand einer Lichtinstallation in Rot.
In dem von Heimo Zobernig und Ferdinand Schmatz verfassten Lexikon der Kunst 1992 erscheint unter dem Buchstaben „I“ der Begriff „Innovation“. Schmatz greift diesen später erneut auf und umschreibt ihn in Bezug auf Zobernigs Werk folgendermassen: „Innovation: Nicht der Zwang zu Neuem dominiert H.Zs. Arbeit, sondern die Frage: was wie zum Zwang in der Kunst wurde, wird untersucht.“ Zobernig verfolgt diese Fragestellung in unterschiedlichsten Rollen, sei es als Maler, Bühnenbildner, Zeichner, Plastiker, Architekt, Designer, Katalog- und Buchgestalter, Dichter oder Verfasser theoretischer Schriften und hinterfragt damit auch das klassische Künstlerbild. So vielfältig seine Rollen sind, so zahlreich sind auch die Bereiche, in denen Zobernig arbeitet, um stets das formale wie auch inhaltliche Potential zu ergründen: Sein Œuvre ist angesiedelt an der Schnittstelle von Skulptur, Raum, Architektur und Design.
Seit Beginn der 1980er Jahre lotet Zobernig die Möglichkeiten plastischen Arbeitens aus. Seine Skulpturen – geometrische Wandobjekte, fassadenartige Reliefs, aus abstrakten stereometrischen Körpern aufgebaute Objekte und Skulpturen, die die Form von Kuben, Winkeln, Säulen, Sockeln, Podesten, Stellwänden oder Regalen haben – entstehen aus unprätentiösen, billigen Materialien wie Pressspan-, Holzfaserplatten, Karton, Leinen, Molton, Styropor, Kunstharz, Dispersionsfarbe, Leuchtstoffröhren und weiteren alltäglichen Baustoffen. Die scheinbare Banalität und der Gebrauchscharakter, der diesen Materialien anhaftet, finden ihre Verstärkung in der auf die Funktion reduzierten Erscheinung und standardisierten Ästhetik der Objekte. Sie bewegen sich zwischen minimalistischer Skulptur und funktionalem Objekt, zwischen Kunstwerk und im wortwörtlichen Sinne Gebrauchsgegenständen, zwischen Bedeutungs- und Zweckzuschreibungen. So vollziehen z.B. die Werke ohne Titel (1995) – bestehend aus einem Sofatisch, der aus drei Pressspanteilen konstruiert wurde und auf dem bunte Glühbirnen liegen –, ohne Titel (1999), eine Skulptur in Form einer Bar, und ohne Titel (2006), ein Regal, das an ein männlich benanntes Regal eines schwedischen Möbelhauses erinnert, exemplarisch den Paradigmenwechsel von angewandter zu bildender Kunst. Konsequent bezeichnet der Künstler seine Werke ohne Titel und löst beim Betrachter assoziative Gedankengänge aus, indem die formale Gegebenheit, die Sichtbarkeit der Realität, und der damit verbundene Sinn im musealen Kontext hinterfragt werden. Zobernigs reduzierte, schnörkellose Formensprache erinnert an Positionen der Minimal Art – eine Pressspanskulptur lässt unweigerlich an Donald Judd, Sol LeWitt oder Robert Morris denken –, jedoch bricht der Künstler mit bewussten Abweichungen den Kanon, den Fetischismus für edle Materialien, und bietet statt dessen eine ironische Revision.
Die Strategie der Reduktion führt der Künstler auch bei seinen Videoarbeiten fort: Ihre Präsentation mit schwarzen Monitorboxen auf weissen Tischen verleiht diesem Medium ebenfalls einen skulpturalen Charakter. Auf formaler Ebene sind die Videos geprägt durch statische Kameraeinstellungen, eine oftmals gleichgesetzte Spielzeit mit gespielter Zeit und die unperfekte Anwendung der Chroma-Key-Technik, ein Videobearbeitungsverfahren bekannt aus dem Fernsehbereich, bei dem ein einfarbiger Hintergrund beliebig ersetzt werden kann (z.B. Blue Box). Auf inhaltlicher Ebene weisen die Arbeiten eine schlichte Dramaturgie, eindimensionale Handlungsstränge sowie rudimentäre Kostüme auf. Die fast dilettantische Erscheinung der Videos – seit 1989 vom Künstler fast ausschliesslich mit aufsteigenden Nummern betitelt – irritiert die konventionellen Sehgewohnheiten des Betrachters. Oftmals selbst als Protagonist auftretend, greift Zobernig die Praxis der Performance auf und mit ihr die stets präsente Möglichkeit der peinlichen Entblössung der eigenen Person. In Nr. 2 (1989) torkelt der Künstler zu computergenerierten Klängen mit blonder Langhaarperücke über eine Wiese; das Video Hans Weigand / Heimo Zobernig (1992) zeigt die beiden Künstler Po an Po vornüber gebeugt, wie sie alternierend versuchen eine Motorsäge zum Laufen zu bringen; den Blick in eine offene, lichtlose Toilette zeigt Nr. 9 (1995), aus der der Künstler während 30 Minuten nach Hilfe ruft oder etwa wie er in Nr. 12 (1996) nackt eine tänzerisch-turnerische Choreographie inmitten von projizierten Stadtansichten Chicagos vorführt. Durch seinen Körpereinsatz verweist der Künstler nicht zuletzt auf die Pioniere der Videokunst, wie etwa Bruce Nauman oder Vito Acconci, und thematisiert somit das Künstler-Subjekt. Gleichzeitig greift er die frühe Videoproduktion und ihre Möglichkeiten der Bildmanipulation auf, wie etwa in den grafisch reduzierten Videoarbeiten Nr. 21 (2003), in dem die acht Farbbalken des RGB-Farbsystems in einem wilden Durcheinander von Farben und Tönen montiert werden, oder Nr. 11 (1995), in dem das formale Konzept der Fleckenbilder Zobernigs dem Computer eingespiesen wurde, der daraus sich stets verändernde, abstrakte Bilder generiert.
Nach Einzelausstellungen in der Kunsthalle Bern 1997, der Kunsthalle Basel 2003 und der Teilnahme in Gruppenausstellungen u.a. im Museum für Gegenwartskunst in Basel 1999, präsentiert sich Heimo Zobernig erneut in einem institutionellem Rahmen in der Schweiz. Der an der documenta 9 (1992) und documenta 10 (1997) vertretene Künstler wurde 2010 als erster österreichischer Künstler mit dem Friedrich Kiesler-Preis für Architektur und Kunst ausgezeichnet.
Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, LUMA Stiftung und Österreichisches Generalkonsulat Zürich.