Pati Hill
Something other than either
Ab und an tauchen wie aus dem Nichts ganze Werke auf, die in ihrer inhaltlichen und formalen Eigenständigkeit und Brillanz uns überraschen. Sie glänzen wie neu und alle wundern sich, warum sie unerkannt blieben. Das trifft auf die Kunst von Pati Hill (1921-2014) zu. Die Kunsthalle Zürich zeigt nach dem Kunstverein München die bisher umfassendste Ausstellung dieser Künstlerin, die auch Schriftstellerin, Kolumnistin, Model, Antiquitätenhändlerin und Galeristin war. Das Oeuvre von Pati Hill umfasst neben vier Romanen auch Kurzgeschichten, Kolumnen und Künstlerbücher, zudem eine Sammlung von Gebrauchsanweisungen und die Erfindung einer neuen Sprache mit Symbolen (Symbol Language, 1977-1978) sowie, ab 1974, Tausende von Fotokopien. Letztere bilden das Hauptwerk und sind in verschiedene Werkgruppen wie Alphabet of Common Objects (Alphabet der alltäglichen Objekte, ca. 1977–79) oder Photocopying Versailles (Versailles fotokopieren, ca. 1980–2005) aufgeteilt. Photocopying Versailles entsprang zum Beispiel der Idee, das gesamte Schloss von Versailles im Massstab 1:1 zu fotokopieren, ein Unternehmen, das gleichermassen realistisch wie unrealistisch war.
Pati Hills Oeuvre lässt sich, wie Maurin Dietrich, die Direktorin des Kunstvereins München, in ihrem Artikel schreibt, nicht leicht einordnen. Das mag mit ein Grund sein, dass Hills Kunst erst jetzt in eine breitere Öffentlichkeit gelangt, denn sie verhält sich quer zum Kanon, quer zur Avantgarde, aber auch quer zu emanzipatorischen Strömungen wie des Feminismus. Hills künstlerische Vorgehensweise lässt sich weder der Konzeptkunst zuordnen noch der Pop Art oder der Fotografie. Sie hat den Fotokopierer benutzt, um die Welt abzubilden, um sie zu fetischisieren und die Herstellung von Kunst an eine Maschine zu delegieren. Marshall McLuhans vorausschauendes Diktum «The Medium is the Message» (Das Medium ist die Botschaft, 1964) wird in diesem Werk konsequent umgesetzt. Maschinen kennen keine Moral, können aber unerwartet Poesie produzieren wie hier, wo banale Gegenstände wie Wörter behandelt werden und Geschichten schreiben. Dies ist im heutigen Kontext der Memes und der Social Media bedeutend.
Im Rahmen der Ausstellung erscheint die dritte Auflage von Letters to Jill von 1979, in der Hill ihrer New Yorker Galeristin Jill Kornblee erläutert, wie ihr Werk gelesen werden kann. Letters to Jill ist ebenso instruktiv wie voller Humor, der selbstverständlich nicht unterschätzt werden sollte.
Die Ausstellung wird co-kuratiert von Maurin Dietrich, Direktorin Kunstverein München, und ist eine Übernahme und Erweiterung der im Kunstverein München vom 7. März bis 16. August 2020 gezeigten ersten posthumen institutionellen Einzelausstellung der Künstlerin in Europa.
Die Kunsthalle Zürich möchte sich bei Richard Torchia, Direktor Arcadia Exhibitions und The Pati Hill Collection at Arcadia University, Glenside (Pennsylvania) für die Leihgaben und die grosszügige Unterstützung bedanken.