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Georg Herold

02.04.–30.05.1999

Retro Visage nennt Georg Herold ironisch-verspielt seine umfangreiche Einzelausstellung, die in einem grossen Spannungsbogen - von den 80er Jahren bis heute - seine grenzgängerischen Strategien in verschiedensten Bezügen, Verästelungen und Medien zusammenführt: Von der besonnenen zur ruppigen Bricolage, von der Polit-Anspielung bis zur Einübung in den weiten Blick, der sich in Malereien mit Kaviar auftut. Obwohl dieser Querschnitt mit retrospektivischem Blick angelegt ist, wird der klassischen Retrospektive eine Absage erteilt, sind doch die Werkkonstellationen unchronologisch und zeigen eine Tendenz zur undurchschaubaren Verwicklung. Meist sind es alltägliche bis amselige Dinge, die ihrer angestammten Identität entkleidet und in eine andere Beziehung zur Realität gebracht werden, in ihrem sympathischen Miserabilismus untrennbar auf Alltag und Kunst zugleich verweisend.

Der in der ehemaligen DDR aufgewachsene Künstler, der seit langem in Köln sesshaft ist, hat die vormals klaren ideologischen Gegensätze von Ost und West und damit die Relativität aller Wertsysteme selbst durchlebt. Er hat es sich zur ketzerischen Aufgabe gemacht, die scheinbare Unvereinbarkeit von konträren Themen, Prinzipien und Materialien künstlerisch zu aktivieren. Dabei wird vor Tabuzonen nicht Halt gemacht, sei es ein dümmlicher Kalauer oder politische Unkorrektheit, sei es die Entweihung höherer Werte und aesthetischer Regeln, sei es der körperliche Intimbereich.

Im Sprachkanon organischer und konstruktiver Abstraktion spannen sich Unterhosen über Eisendraht zu Bergmassiven: "Kleiner Bernhardiner". Bimssteine schichten sich zu einem "Schlot" auf, dessen minimale skulpturale Erscheinung prekär wird durch die trostlose Inschrift "Im Arsch ist's finster". In aufsässiger Kombinatorik kleben Ziegelsteine auf Tafelbildern, übernehmen den Part von Pinsel und Olfarbe. Sie geben formbewusst malerische Illusion und immatrielle Bedeutung vor, materialisieren aber gleichzeitig durch harte Banalität deren Zersetzung. Dachlatten werden - in Anspielung auf germanisches Kulturgut von Dürer bis Beuys - zu einem "Dürerhasen" zusammengenagelt oder vernetzen sich zu „Chips“, die nicht Informationsspeicher der Mikroelektronik sind, sondern subversive Gegenschaltungen: "Dieser Mann ist gut zu seiner Frau". In jüngster Zeit transformieren sich Dachlatten wiederum zu klein strukturierten Endloskurvaturen, die Bewegungen von den addierten Holzklötzchen hin zum unbegrenzten Raum auslösen.

Georg Herold attackiert mit lustvoller Anarchie den Anspruch der Kunst, eine bessere Welt zu verkörpern. Er unterwandert mittels Provokation oder Nonchalance alle kunstvollen Verbrämungen und idealistischen Uberbauten, unternimmt jedoch immer wieder den sisyphusartigen Versuch, etwa in seinem "Tafelwerk", Ubersicht zu schaffen. Kunst zeigt sich augenfällig und entgegen ihrer Mythologisierung als ein banales Handwerk mit banalen Methoden, als eine Bastelei, die - flüchtig und unperfekt - zusammenbaut und zerlegt. Und doch entstehen, auch in Herolds Interaktionen, hinreissende, mitunter magische oder poetische Bilder, Skulpturen und Zeichnungen, die jedoch ihr trügerisches Dasein reflektieren.

Schon vor zehn Jahren war Georg Herold zu Gast in der Kunsthalle Zürich, damals noch in provisorischen Räumen mit einer fast ausschliesslichen Auswahl von Ziegelsteinbildern. Nun also wird nicht nur das Fortschreiten in einer nächsten Dekade visualisiert, sondern der Versuch steht zentral, auf exemplarische Weise diesen künstlerischen Kosmos in seinem Gesamtzusammenhang, in all seiner Vielschichtigkeit und Ambivalenz darzulegen und klar zu machen, dass Georg Herold eine immer noch höchst vitale und wichtige Inspirationsfigur ist für eine junge Generation von Kunstschaffenden.

Presseinformationen

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