Pierre Huyghe
In seiner ersten Einzelausstellung in der Schweiz zeigt Pierre Huyghe verschiedene Videoprojektionen, die sich nicht nur bestehende Sprachformen des Kinos aneignen, sondern auch seine Produktionsmechanismen. Ihre Wechselwirkungen brechen die Geschlossenheit der filmischen Illusion auf, holen das Imaginäre des Films ein Stück weit ins reale Leben zurück. Dabei entstehen weniger bewegte Bilder, die die Welt darzustellen versuchen. Vielmehr werden Prozesse im Betrachter ausgelöst, die transparent machen, wie wir wahrnehmen, Reales wie Fiktives konstruieren. Für seine „connective images“ benutzt Pierre Huyghe nicht nur die Konventionen des Films, sondern auch die Konventionen der Werbung, so in seinen ortsbezogenen BillboardAktionen im öffentlichen Raum, die in Plakatform den Auftakt der Ausstellung bilden.
In der Videoprojektion „Dubbing“ sitzt uns in Grossaufnahme eine Gruppe von fünfzehn Synchronsprechern gegenüber, die während der ganzen Dauer ihres Einsatzes in engen Stuhlreihen zusammen ausharren. Gemäss dem Textband, das im unteren Bildraum eingeblendet ist, synchronisieren sie je ihren Part für einen Film, der unsichtbar bleibt und nur durch ihre Dialoge, Gebärden oder Schreie im Kopf des Betrachters Konturen annimmt. „Worauf es mir ankommt, ist die Verbindung von Sprache und Zeit durch die Interpretation einer Erzählung. Genauso wie die Tatsache, dass der Zuschauer den fehlenden Platz des Darstellers einnimmt.“ (Huyghe)
Auch die gleichzeitige Projektion von drei separat gedrehten Sprachversionen des Filmes „Atlantic“ von 1929 versetzt uns in einen Raum aktivierter Wahrnehmungsprozesse: „Versions Multiples". Zu Beginn des Tonfilms konnte noch nicht synchronisiert werden, und so wurde dieses Untergangszenario der Titanic in englischer, französischer und deutscher Sprache mit meist ausgewechselten Schauspielern, Szene um Szene wiederholt. Da jede Fassung unterschiedlich lang ist, beginnen sich die Handlungsabläufe zu verschieben. lst hier noch das elegante Upperdeck zu sehen, befindet man sich dort bereits in der Unterwelt der Maschinenräume: eine verblüffende Dekonstruktion und Fortsetzung der filmischen Illusion.
In „L'Ellipse“ wiederum rekonstruiert Pierre Huyghe reale Zeit, die per Schnitt im Wim Wenders-Film „Der amerikanische Freund“ eine Leerstelle bleibt. Zwischen zwei Originalszenen, in denen der Hauptdarsteller Bruno Ganz einerseits in seinem Hotelzimmer per Telefon einen Mordauftrag erhält, andererseits seinen Auftraggeber trifft, schiebt sich die von Huyghe gedrehte Sequenz: der realzeitliche Gang von Ganz von einem Ort zum anderen. Nicht nur der Protagonist ist um Jahre gealtert, sondern auch das von Wenders futuristisch eingefangene Paris. „Was hier geschieht, der Wechsel von dem jungen Schauspieler zur Gegenwart, die Tatsache, dass er dann seine Rolle verlässt, um das ursprüngliche Muster des Films wieder zu betreten und zu dem Schauspieler zu werden, der er war, produziert eine andere, eine zeitliche Ellipse.“ Die Kunst von Pierre Huyghe bewohnt diesen schwindelerregenden Platz zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte, hebt kontinuierlich die Unmöglichkeit hervor, gelebte Erfahrung von ihrer Darstellung zu trennen.