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Reading Rämistrasse #123: Clifford Bruckmann zu Andrea Büttner bei Galerie Tschudi - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #123: Clifford Bruckmann zu Andrea Büttner bei Galerie Tschudi

Natürlich ist niemand mehr überrascht, wenn sich eine weitere Galerie an der Rämistrasse ansiedelt. Vermutlich wird jeder freie Quadratmeter an der verstopften Strasse von Makler:innen allen Galerien weltweit angeboten. Nun, es lohnt sich, haben die Urgrosseltern vor über einem Jahrhundert einen Boulevard von Stadtpalästen gebaut. Die grossen Player im Zürcher Kunstmarkt können damit auf der Basis erfundener Tradition via Mietzinsen einen Teil ihrer Einkünfte an ihre Kund:innen zurückgeben. Bei allen Vorbehalten: es ist verständlich. Der Innovationsdruck ist in einer inzwischen notorisch hermetischen Branche gering. Nach der kurz vor dem Zusammenbruch gebremsten Korrektur des grossen Kunst- und Kulturquartiers in Zürich-West, findet eine Rückbesinnung auf den alten Dorfkern statt.

Vielleicht ist es deshalb erfrischend, hat mit der Galerie Tschudi eine in Zürich bis anhin nicht vertretene Galerie den Schritt an die Rämistrasse vorgenommen. Entspricht die Eröffnung einer Dependance an dieser Lage zwar dem Mainstream und macht sie vielleicht auch ökonomisch Sinn, so ist es doch auch entscheidend, wie ein solcher Schritt vorgenommen wird. Für die Galerie Tschudi scheint es sich um einen strategischen Schritt zu handeln, der mit einer interessanten Verschiebung über die vergangenen Jahre einhergeht. Die früher in Glarus und nun seit langer Zeit in Zuoz im Oberengadin domizilierte Galerie führt einige – wenngleich auch Umstrittene wie vor allem Carl Andre – Weltstars der bildenden Kunst im Programm. Im Gegensatz zu anderen Galerien, die mit solchen Netzwerken und Partner:innen agieren, scheint sich die Galerie Tschudi allerdings nicht zurückzulehnen und den schleichenden Schritt in den Sekundärmarkt und die Veräusserung des Inventars vorzunehmen. Im Gegenteil: Es scheint, als würde die Galerie Tschudi ihr Kapital in einem vermeintlichen evolutionären Rückschritt für eine Galerie von Weltrang investieren und zunehmend ihr Programm verjüngen. Künstler:innen mit Jahrgängen der späten Achtziger- und sogar Neunzigerjahre werden mit grossem Aufwand aufgebaut. Die etablierte und seit Jahrzehnten bestehende Galerie Tschudi entwickelt sich damit zusehends in eine junge Galerie mit jungen, aktuellen, noch weniger etablierten Künstler:innen. Natürlich hilft es, wenn die alte Garde die dafür nötigen Ressourcen bereitstellt.

Im gleichen Sinne scheint die Galerie auch mit ihrem Einzug an der Rämistrasse umgegangen zu sein. Die Räume wurden nicht künstlich historisiert, sondern mit smarter Zurückhaltung und gleichzeitig funktionaler Geradlinigkeit umgebaut. Es ist angenehm spürbar, dass die Galerie Tschudi auch in ihrem Stammhaus in Zuoz nicht den Pfad des sterilen White Cube verfolgt. So bestand offenbar auch die geistige Flexibilität, um an der Rämistrasse noch etwas Raum für Charakter zu belassen, der andernorts nicht überall besonders geschätzt zu werden scheint.

Die aktuelle Einzelausstellung von Andrea Büttner greift diese Gedanken in verschiedener Form ebenfalls auf. Dass es sich bei Andrea Büttner um eine besonders raffinierte Künstlerin handelt, ist vielleicht fast schon in den Kanon übergangen, in der Deutschschweiz sicher seit der Präsentation in der Kunst Halle Sankt Gallen 2017, allerspätestens aber seit der Eröffnung ihrer Ausstellung im Kunstmuseum Basel in diesem Jahr. Es ist daher fast schon müssig, auf ihre Qualitäten zu diesem Zeitpunkt noch einmal besonders und gesondert einzugehen, dafür fehlt mir auch die Expertise.

Hingegen kann ich – fast schon im Sinne eines Erfahrungsberichts – auf die Situation in der Galerie Tschudi eingehen: Andrea Büttners Ausstellung ist auf den ersten Blick – das ist in diesem Falle als unumwunden positiv zu verstehen – eine beinahe genormte Galerieausstellung. Es finden sich durchaus für den Verkauf attraktive Arbeiten in der Ausstellung. Dennoch, Andrea Büttner zeigt im zurückhaltend besonderen Kontext der Räume der Galerie Tschudi, auch Humor, elegante Eingriffe und einen Mut, der auf den ersten Blick im Kontrast zur Finesse einzelner ihrer Werke steht, jedoch konsequent ist.

Mehrere Eingriffe in die (Innen-)Architekur öffnen die Räume und die Arbeiten Büttners in einer Weise, die überrascht. Eigentlich prägnante, gemalte Paneele, deren Motive eine fast schon comichafte Referenz an Mark Rothko bilden, hängen über Kopf. Trotz ihrer Dimensionen und Platzierung, fügen sie sich in die Räume beinahe inkognito ein – bis man sie bemerkt! Plötzlich ist diese kleine, für sich genommen nicht bemerkenswert innovative Verschiebung von der Wand an die Decke, ein Blickfang. Der Einfluss auf die gesamte Ausstellung ist allerdings durchaus bemerkenswert. Solch sanfte Eingriffe in nicht ganz unkomplizierten Räumen, steuern Bewegungen und Blicke beinahe unbemerkt und aktivieren eine andere Art der Begegnung mit Andrea Büttners Werken innerhalb der Ausstellung. Es mag scheinen, als seien dies unspektakuläre Eingriffe. Im physischen und sensorischen Aufeinandertreffen allerdings, erschliesst sich deren Stärke.

Hervorzuheben sind – dies mag allerdings aus persönlicher, humoristischer Vorliebe motiviert sein – beinahe schon versteckt platzierte Objekte im oberen Stockwerk. Die aus Holz gefertigten, geschnitzten Objekte, die Bündel von Spargeln wie im Supermarkt zu kaufen nachempfunden sind, sind ein amüsanter Bruch im Ablauf der Ausstellung und sind liebliche, aber keineswegs langweilige oder nichtssagende Arbeiten.

Andrea Büttner, Galerie Tschudi, Zürich, 2023

Zuletzt befindet sich im anderen Obergeschoss ein weiterer Schock. Von unten nicht zu sehen, befindet man sich unvermittelt in gebückter Haltung in einem blau gestrichenen Raum. Wie die Rothko-Anlehnung, steuert Andrea Büttner auch hier in einen Referenzraum, der eine sympathische, humoristische Note in sich trägt. Das Blau des Raums, der mit einer Serie selbstsicherer, kleiner Bleistiftzeichnungen ausgestattet ist, erinnert sofort an Klein-Blau. Nach diesem kurzen Schockmoment, ausgelöst von der Angst vor einer langweilig-plakativen Referenzialisierung eines historischen Kunst-Superstars, bemerkt man, dass Büttner auch hier dem pseudointellektuellen Kunstinteressierten (also mir) einen Spiegel vorhält und so ein Schnippchen schlägt. Der Automatismus der Suche nach Bekanntem und Kanonisiertem, wird elegant auf die Schippe genommen. So erhalten die als Zwischendecken installierten peri-Rothkos auch wieder eine kritische Note, die sie in ihrer Substanz zusätzlich auflädt und über das Architektonische hinaus eine Haltung entwickeln lässt.

Andrea Büttner schafft es also, eine auf den allerersten Blick ganz gewöhnliche Galerieausstellung zu einem kohärenten Ganzen zu machen, ohne sich aufzudrängen. Der sensible Humor macht Freude und begeistert teilweise gar. Wie die Künstlerin das Referenzreflexdiktat des Kunstbetriebs und ihrer vorwiegend männlichen Repräsentanten – manche solcher Künstler befinden sich im Übrigen im Programm der Galerie Tschudi – ist von ausgeprägtem, erzählerischem Fingerspitzengefühl geprägt. Andrea Büttner – und mit ihr, so ist zu vermuten, auch die Galerie Tschudi – präsentieren eine humorvolle, tiefgründige Auseinandersetzung mit subtiler Radikalität und mir sehr zusagendem Humor, die für einige Überraschungen gut ist.

Andrea Büttner, Galerie Tschudi, Rämistrasse 5, 8001 Zurich, 3. Juni–29. Juni 2023

Reading Rämistrasse

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