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Reading Rämistrasse #68: Damian Christinger zu Maya Bringolf in der Galerie Bromer - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #68: Damian Christinger zu Maya Bringolf in der Galerie Bromer

Der Siegeszug des Plastikstuhles aus einem Guss gehört zu jenen Fussnoten der Geschichte der Globalisierung, die längst zu einem eigenständigen Symbol geworden sind. Als Chiffre für den Warenstrom, der alles unter sich begräbt, in Normcontainern um die Welt geschifft wird.

Der Siegeszug des Plastikstuhles aus einem Guss gehört zu jenen Fussnoten der Geschichte der Globalisierung, die längst zu einem eigenständigen Symbol geworden sind. Als Chiffre für den Warenstrom, der alles unter sich begräbt, in Normcontainern um die Welt geschifft wird. Dieser Tsunami an Dingen ist unvorstellbar und zutiefst beunruhigend. Zu jeder Zeit sind Socken, Schuhe, Bettvorleger, Spielzeug, Waffen, Lüftungsrohre, Lebensmittel und Präzisionszentrifugen in Millionen von Containern, auf Tausenden von Schiffen, Flugzeugen, Lastwagen und Zügen in Bewegung. Kisten und Kartons, Container und Schwerlastsäcke werden in Lagerhäusern in den Häfen und weiter im Landesinneren gestapelt und weitergeleitet. All dies wird gelenkt, verwaltet und dann über die Weltmärkte verteilt. Wir sind diesem Strom der Dinge schon lange erlegen. Die billigen Dinge aus Plastik fördern die Ökonomisierung unserer Gesellschaften, alles wird zur Ware, wird quantifiziert.

In der Welt von Maya Bringolf wird das Zirkulieren der Waren unterbrochen und ausgeleuchtet. Der Monobloc hängt zusammengeschmolzen mit seinesgleichen wie eine riesige Trophäe von der Decke der Galerie Bromer an der Rämistrasse: Ein aufgehängter Kandelaber, das traurige Skelett eines Behemoths, der sich an sich selbst überfressen hat. Inmitten der Ausstellung, zwischen vermeintlich angesengten Bettvorlegern mit Einschusslöchern so gross wie Kinderköpfe, zwischen zu absurden Zirkulations-Maschinen zusammengebogenen Lüftungsrohren und angekokelten Bürostühlen, den Säulen, die die edle Galerie in der Galerie tragen, den LED-Leuchten, die Halogen simulieren, und metallisierenden Trenchcoats, leuchtet aus der Erinnerung eines halb-verschütteten kulturellen Gedächtnisses die Zeilen des «Bateau Ivre» von Arthur Rimbaud. Hier in einer Übersetzung von Paul Celan (1871/1957):

Hinab glitt ich die Flüsse, von träger Flut getragen,

da fühlte ich: es zogen die Treidler mich nicht mehr.

Sie waren, von Indianern ans Marterholz geschlagen,

ein Ziel an buntem Pfahle, Gejohle um sich her.

Ich scherte mich den Teufel um Männer und um

Frachten;

wars flämisch Korn, wars Wolle, mir war es einerlei.

Vorbei war der Spektakel, den sie am Ufer machten,

hinunter gings die Flüsse, wohin, das stand mir frei.

Derweil die Tide, tobte und klatschte an den Dämmen,

flog ich, und es war Winter, wie Kinderhirne stumpf,

dahin. Und wär es möglich, daß jemals Inseln schwämmen,

kein solcher Gischt umbraust’ sie, kein ähnlicher Triumph.

Ein leichter Korken, tanzt ich dahin auf steiler Welle:

die erste Meerfahrt haben die Stürme benedeit.

Von solcher Welle heißt es, sie töte und sie fälle –

Die albernen Laternen der Häfen blieben weit!

So süß kann Kindermündern kein grüner Apfel schmecken,

wie mir das Wasser schmeckte, das grün durchs Holz mir drang.

Rein wuschs mich vom Gespeie und von den Blauweinflecken,

fort schleudert es das Steuer, der Draggen barst und sank.

Des Meers Gedicht! Jetzt konnt ich mich frei darin ergehen,

Grünhimmel trank ich, Sterne, taucht ein in milchigen Strahl

und konnt die Wasserleichen zur Tiefe gehen sehen:

ein Treibgut, das versonnen und selig war und fahl…

Die versonnenen und seligen Leichen der Konsumgüter, die Bringolf transformiert und mit brachialer Künstlerinnengeste zerstückelt, um sie mit neuem Leben zu erfüllen, stehen in einem seltsamen Gegensatz zu den gediegenen Räumlichkeiten des Ausstellungsraums, zur gesamten Strasse, die sich langsam zu einem Mekka des Kunstkonsums wandelt. Wobei sich das vermeintlich Brutale bei genauerer Betrachtung doch als sorgfältige Intervention herausstellt. So sind die angesengten Brandlöcher liebevoll mit Epoxidharz nachmodelliert.

Die beiden neuen Galerist*innen Gabriela Gonzales und Pier Stuker, die in der Galerie Bromer ein schwieriges programmatisches Erbe angetreten haben, wagen mit dieser Einzelausstellung einiges. Sie rütteln gleichsam am Fundament des Kunsthandels, auf dem die Galerie steht, zeigen die Werke einer Künstlerin, hinter deren Gesten der Kraft und Bearbeitung die meisten Sammler*innen zuerst einen Mann vermuten würden (müssen dadurch beim Vermitteln somit zuerst zwei Vorurteile ausräumen) und zeigen eine Position, die zuerst etwas quer im aktuellen Diskurs steht.

Das Quere und Sperrige, das die Arbeiten von Maya Bringolf auszeichnet, die Distanz zu den «albernen Laternen der Häfen», ist eine Qualität, die sich an der Rämistrasse wohltuend ausnimmt. «Es ist, als wäre die Endzeit des Domestizierten angebrochen, als wollten unsere Komfortzonen ihr heimlich angestautes Gift entladen», wie Isabel Zürcher im angenehm anspruchsvollen Galerietext schreibt. Oder um es nochmals in den Worten von Rimbaud, dem Dichter und Waffenhändler zu sagen, Bringolfs Treibgut ist zugleich fahl und versonnen.

Maya Bringolf - Light Up, Galerie Bromer, Rämistrasse 3, 8001 Zürich

18.09.2021 bis 06.11.2021

Bilder: Courtesy the artist and Galerie Bromer, Fotograf: Serge Hasenböhler

Reading Rämistrasse

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