Wie entstehen Ausstellungen in Museen? Was passiert, ehe wir uns an der Vernissage gegenseitig zunicken? Die meisten Besucher*innen haben da wohl eine eher vage Vorstellung. Der Kurator oder die Kuratorin hat eine Idee, recherchiert, plant, vielleicht ist eine Architektin involviert, vielleicht gibt es eine Besprechung mit der Technikchefin, dann kommen die Künstler*innen und fertig ist die Schau.
Wider den Mythos der Heinzelmännchen
Wie entstehen Ausstellungen in Museen? Was passiert, ehe wir uns an der Vernissage gegenseitig zunicken? Die meisten Besucher*innen haben da wohl eine eher vage Vorstellung. Der Kurator oder die Kuratorin hat eine Idee, recherchiert, plant, vielleicht ist eine Architektin involviert, vielleicht gibt es eine Besprechung mit der Technikchefin, dann kommen die Künstler*innen und fertig ist die Schau.
Natürlich wissen wir auch, dass dem nicht so ist, dass in einem Museum viele Menschen arbeiten, von der Technik über die Kasse zum Putzpersonal. Die Vermittlung, Aufsicht und Buchhaltung, sie alle bestehen aus Individuen, die ein Museum gestalten. Unsere Aufmerksamkeit gehört aber natürlicherweise den Kurator*innen und Künstler*innen, dem Museumsdirektor, vielleicht noch der Kunsthistorikerin, die eine Führung macht. Sie sind die Gesichter des Museums, der Rest sind Heinzelmännchen, die auf wundersame Weise im Verborgenen werkeln.
Die gegenwärtige Ausstellung im neuen Off-Space Toxi versucht dieser Fantasie entgegenzuwirken. Der Titel Hund und Ameise verweist bereits auf das Werkzeug, das beim Aufbau notwendig ist. Ein Brett mit vier Rollen und der Paletthubwagen werden im Handwerkerjargon liebevoll animalisiert und sind unverzichtbare Helfer beim Bewegen der teilweise monumentalen Werke. Im Gegensatz zu ihnen haben die vermeintlichen Heinzelmännchen aber durchwegs menschliche Biografien, häufig auch einen künstlerischen Werdegang, der hinter ihrer Funktion verschwindet. Diese unsichtbaren helfenden und denkenden Hände stehen nun in einer Ausstellung mit ihrer eigenen Kunst im Zentrum.
Produktionsbedingungen
Die Frage, ob es sich bei ihnen zuerst um Museumsmitarbeiter*innen oder Künstler*innen handelt wird bereits bei einem flüchtigen Rundgang klar. Sie sind beides. Gleich beim Eingang erhebt sich eine stützende Säule, eigentlich eine metallene Stange, wie sie zum Beispiel im Gerüstbau verwendet wird, die sich ihrerseits auf einen Stapel angeschnittener und verklebter Kunstbulletins als Plinte abstützt. Kunstkritik wird hier von Wanda Nay auf subtile Weise als Basis der Kunstproduktion gleichzeitig gefeiert und in Frage gestellt.
Die wunderbaren Keramikarbeiten von Gabi Deutsch bewegen sich zwischen konkreter Abstraktion und humorvoller Figuration: ein Tisch ist bei ihr eben nicht ein Tisch, sondern zuerst Abbild, um dann wie bei Plato handwerklich verstanden zu werden. Hier könnte sich aber auch ein Problem aufzeigen, das mit der Frage nach dem Handwerk zu tun hat. Sind die Arbeiten nur qualitativ überzeugend (weil sie eben von Handwerker*innen hergestellt wurden) oder vermögen sie sich auch in einen weiteren Diskurs einzuschreiben, sind sie relevant? Die sichere kuratorische Hand von Tanja Roscic erschwert die Beantwortung dieser Frage zuerst. Präzise setzt sie die verschiedenen Positionen in Beziehung zueinander. Einzig die Übergewichtung der Arbeiten von Roland Bösiger, die vor allem in ihrer ästhetischen Qualität überzeugen, verwundert etwas. Liegt der Grund für die Überpräsenz vielleicht in der Wertschätzung, die ihm als langjähriger, ehemaliger Techniker entgegengebracht wird?
Roscic schöpft aus einer sehr reichen Erfahrung als Künstlerin (das ganze Toxi-Projekt ist «artist-driven» wie man auf Künstlerdeutsch sagt), die sich mühelos auf den liebevollen Einbezug der Werke anderer überträgt. Wie steht es also nun um das diskursive Potential der zusammengeführten Werke? Gibt es neben dem gemeinsamen Brotjob Ansatzpunkte, die für uns Betrachter*innen zu einer erweiterten Erkenntnis führen? Das Kollektiv, das das Toxi antreibt, schreibt über sich selbst: «Uns interessieren alternative Ausstellungsformate, in welchen die Zwischenbereiche von künstlerischer und nichtkünstlerischer Praxis sichtbar gemacht werden sollen. Wir möchten kritisch hinterfragen, Unbeleuchtetes hervorbringen und Durchmischung Raum geben, um interdisziplinäre Projekte zwischen Künstler*innen zu realisieren». Der Leser fragt sich nun: was bedeuten diese «Zwischenbereiche von künstlerischer und nichtkünstlerischer» Praxis?
Ein Lob der Langsamkeit
Sie verbinden sich, zumindest in dieser Ausstellung, mit einer alten Forderung von Susan Sontag zu unserem Umgang mit Kunst und der Interpretation von Werkkörpern. 1966 forderte sie in ihrem vielgelesenen und oft missverstandenen Essay Against Interpretation, dass wir aufhören sollten, die Kunst zu «interpretieren», d.h. sie in vorgefertigte Denkprozesse zu integrieren, die Kulturgeschichte einfach weiterzuschreiben. Bei der Rezeption dieser Streitschrift wurde allerdings oft übersehen, dass sich diese Forderungen nicht nur an die Rezipienten (z.B. Kritiker*innen) richteten, sondern auch an die Künstler*innen selber. Dass der Eros die Hermeneutik ablösen soll, wie es der Schlusssatz postuliert, ist somit auch eine direkte Aufforderung, neu zu handeln und zu denken, kreatürliche Prozesse anzuschieben.
Die Werkstatt, das Museum, in dem man arbeitet, wäre dann ein Labor, in dem Eros in Ethos transformiert werden kann. Der Künstler ist in dieser Lesart «Handwerker» im Sinne von Richard Sennet, der zu den Prozessen in der Werkstatt meint, dass im besten Fall alles harmonisch zusammenkommt: Rituale und Tradition, die Hingabe der Einzelnen an ihren Werkbereich und das gemeinsame Erarbeiten neuer Formen der Herstellung im Dialog. Die Werkstatt ist hier nicht einfach ein Ort der technischen Reproduzierbarkeit der Werke anderer, vielleicht berühmterer Künstler*innen, sondern Ausgangspunkt des Staunens, Experimentierens und Sichtbar-Machens.
Die Arbeit Monotox von Monika Stalder liefert hier einen interessanten Ansatz. Monotox ist ein raumgreifendes Instrument. Sie besteht aus drei durch den Raum gespannten Klaviersaiten und einer Kupferplatte, auf der die Saiten zusammenlaufen. Spielt man sie an, werden die erzeugten Vibrationen durch einen Tonabnehmer abgenommen und über einen Gitarrenamp verstärkt. Das Zusammenführen, Abnehmen und gegenseitige Verstärken, das der ganzen Ausstellung eingeschrieben ist, findet hier nicht nur Form sondern Klang. Vielleicht führt es etwas weit, diesem Sound auch im Track des gezeichneten Videos von Christian Eberhard nachzuspüren. Wobei der Teufel ja bekanntlich im Detail steckt, in dieser wundervoll elegischen Zusammenführung von Strichen und minimaler Bewegung, sogar ein tasmanischer Teufel. Die meditative Qualität erreicht Eberhard nach eigener Aussage dadurch, dass ihn seine Arbeit im Migrosmuseum, er ist Maler und Tapezierer, befreit. Durch seinen Brotjob wird das langsame Arbeiten, das er für seine Kunst braucht, erst möglich. Es ist ja nicht nur bei ihm so, dass es sich in den allermeisten Fällen von der Kunst allein nicht lebt. Oder wie es einst Alfred Polgar formulierte: «Von Geldsorgen allein kann ein Mensch nicht sein ganzes Elend bestreiten».
Hund und Ameise, Toxi, Zimmerlistrasse 4, 8004 Zürich
03.07.2021–17.07.2021
Mit Werken von: Wanda Nay, Steffen Kuhn, Monika Stalder, Muriel Gutherz, Christian Eberhard, Magdalena Baranya, Konstantinos Manolakis, Nusser Glazova, Roland Bösiger, Gabi Deutsch, Val Minnig. Bilder Courtesy die Künstler*innen und Toxi.