«Over the bed, under the skin, inside the head» lautet der Titel von Dominic Michels Ausstellung im Ausstellungsraum Hamlet. Er suggeriert etwas Musikalisches, ein Kreuzreim in angenehmem Takt, nicht zu langatmig, eingängig. Vielleicht auch unfertig. Es könnte ein Refrain aus einem Popsong sein, eine Kollaboration der Rolling Stones, T.A.T.U. und den Talking Heads. Tauscht man die Subjekte, ergibt sich eine leichte Bedeutungsverschiebung, dennoch ist klar, was in der Aufmerksamkeit steht: der Körper und das Bett, in welchem er sich ausruht.
In der Ecke gegenüber der Eingangstür stehen diverse Objekte. Als kleines Ensemble aufgereiht, sitzt neben dem Reithelm der Mini-Feuerlöscher, daneben ein Mannequinkopf mit bizarr langem Hals, ein Öllampenschirm mit rundem Bauch. Davor eine Schuhleiste, ein militärgrüner Benzincontainer und ein Sancho Biker Boot, ein Cowboystiefel. Sie wirken wie ein Begrüssungskomitee, wie ein Prolog und bilden eine komische Versammlung von modellierten Körperteilen und Behältern. In ihrem Wesen entweder Füllmittel oder Gefäss, innen oder aussen, gedacht, um sich in eine bestehende Hülle einzufügen oder sich passiv auffüllen zu lassen.
Eine weitere Sorte von Körpern, genauer, menschliche Silhouetten, ausgesägt aus fetten Spanplatten, findet sich etwas weiter daneben. Sie bilden eine anonyme Gruppe fast lebensgrosser Figuren, nebeneinandergeschichtet dominieren sie den Raum. Ihre Bewegungen sind eingefroren, die Profile schemenhaft, ganz unten ein freundlicher Hund.
Ein Umriss ist eine Art Zusammenfassung, ein Gefäss. Er schluckt das Kleinteilige und Viele und gibt eine Übersicht. Auch wenn diese irreführend sein kann, beansprucht er die übergeordnete Rahmung. Er verpackt, schraffiert sein Inneres jedoch nur vor. Eigentlich ist der Umriss zweidimensional und kann nur auf dem Papier existieren. Gezeichnet endet er, wo er von Neuem wieder beginnt. Eine Schlaufe, die sich jeder Form annehmen kann.
Der Umriss dient nur begrenzt als ein Modell für Vieles, vor allem aber für den Menschen. Die poröse, durchlässige und weiche Haut wäre Umriss des Körpers, alles andere als eine Fixierung, dennoch dessen einziger Abschluss. Die Umrisse hier scheinen Platzhalter in einer verflachten Gemeinschaft zu sein, Rahmungen für das Persönliche, das ausgeklammert bleibt.
Eine einzige Fotografie hängt noch in diesem ersten Raum. Im Profil aufgenommen, ist auf ihr eine zerbrochene Schaufensterscheibe zu erkennen. Die Flucht ist mittig und wird durch das Glas, Stahl und einen Banner im Laden verstärkt. Eine zerstörte Grenzziehung, durch einen wütenden Impuls in neue Ordnung gebracht.
An unterschiedlichen Stellen ragen drei kleine Sofaskulpturen wie kleine Balkone aus der Wand. Graue Mauern aus Platten bilden den Boden und die Decke. Diese liegt direkt auf der Lehne schwarzer Miniatur-Chesterfieldsofas und macht das Modell damit zum Albtraumzimmer. Wer hineinpasst, kann nur kriechen, oder sich auf die Couch legen. Es wird dunkler.
Der Ausstellungsraum Hamlet besteht aus einer Flucht von fast identischen Zimmern; sie enden in einer Sackgasse. In den mittigen Durchgängen stehen Röhrenfernseher. Aufgereiht auf Sockeln versperren sie das Durchlaufen ein wenig, aber eben nur so, knapp daneben geht es daran vorbei. Auf den Monitoren laufen schwarz-weisse, mit dem Handy aufgenommene Szenen. Die Clips stochern in Momenten und zeigen unterschiedliche Bilder: Gitter und eine hölzerne Eule, die an der Leine geleitet wird, Fassaden und zögernde Schritte, die sich um diese vollziehen. Die Kamera fährt um die Bildgegenstände und ist nahe dran. Sie zeichnet auf, wie der Bewegungsradius ausgetestet wird, Zäune bestiegen und Wände betastet werden. Es sind minimale Inszenierungen, die viel andeuten und dabei wenig zeigen, gerade genug, um zu verstehen, dass sie Einblicke in die Stationen eines Spaziergangs geben.
Die Clips funktionieren einwandfrei, stottern aber dabei. Sie rotieren um sich selbst und bewegen sich langsam, aber kontinuierlich in die darauffolgenden Sequenzen, kleine technische Störimpulse irritieren die Abfolge. Der erste Loop wiederholt sich, ist in der Wiederholung jedoch kaum merklich verschoben. Ein Bild zu Beginn fällt weg, eines am Ende kommt hinzu. Wieder ein fast geschlossener Kreis, der wie ein Kinderzählspiel funktioniert. Die Clips, als Dateien, werden so zu eigenen Containern, die sich in dieser Logik mit Bildern füllen lassen.
Im letzten Raum sind die Lampen aus, nur der Sony Cube in der Mitte erscheint hell. Der Effekt der Dunkelheit unterstützt die Illusion einer sich unendlich fortführenden Monitorreihe. Auf den ersten Blick ist es wie ein endloser Raum, das tausendfach gepostete Badezimmer- oder Lift-Selfie. Darin verliert sich der Körper und ist unendlich multipliziert. In dieser Verteilung enden Körper und Raum im Nirgendwo, im Hamlet ist das Ende dort, wo kein Licht mehr brennt.
Als ich in diesem letzten Raum im Dunkeln ankomme, taucht aus dem Zwielicht ein Schatten. Er flüstert mir ins Ohr: «Hör zu. Es könnte sein, dass sich hinter diesen Hüllen grössere Ideen versammeln, wir kennen sie seit langem. Automaten. Ein leerer Körper, der mit Luft jongliert und dessen Leben zwangsläufig auf eine Art der Wertvermehrung angelegt ist, der kommt da nicht mehr raus. Jede Aktion bedeutet unvermeidliche Reaktion. Immer im Rad. So einer ist es und so einer wird er bleiben, seine Haut versiegelt von kleinen Münzen, aus Geschossen ballern diese auf ihn ein, steter Tropfen, sie formen ihn, er wirft zurück, ein ewiges Spiel, sie lassen ihn nicht einschlafen. Dieser Körper ist reiner Leiter. Leitung. Seine Beine enden im Boden, sein Kopf erstreckt sich bis oben.»
Die Arbeiten im Hamlet geben einen Rahmen vor, aber sehr wenig Inneres preis. Sie bilden den Umriss, zeigen die entstehende Lücke auf und verneinen dabei einen Inhalt. In dieser Unfassbarkeit und Nicht-Konsumierbarkeit werden sie instabil und biegbar und können so für vieles Raum bieten. Starr festgefroren warten die Umrisse darauf, aufzuwachen, bis das geschieht, halten sie die Zeit weiter aus oder wandeln herum, als Idee einer Kollektivierung, in welcher das Individuelle keinen Platz mehr findet. Vielleicht sind sie auch nicht tot, sondern schlafen. Schlafen als Tätigkeit, die sich nicht in eine Produktionsreihe einreihen lässt, ein Moment passiver Resistenz und Verwehrung. So denke ich um das Bett herum.
Dominic Michel: over the bed, under the skin, inside the head, Hamlet, 1. März – 11. April 2021
Bilder: Patrick Cipriani