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Reading Rämistrasse #119: Sandra Bradvic zum Kunstraum Friends und Acts of Friendship im Migros Museum für Gegenwartskunst - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #119: Sandra Bradvic zum Kunstraum Friends und Acts of Friendship im Migros Museum für Gegenwartskunst

Friends, ein vom Künstlerduo huber.huber temporär geführter Raum im Zürcher Kreis 4 sowie Acts of Friendship – Act 1+2, der Auftakt zu einer Serie von Sammlungspräsentationen im Migros Museum Zürich –, gaben Anlass, um über die Begriffe Freundschaft und Netzwerk im Kunstbetrieb und seinen Institutionen nachzudenken.

Es ist ca. 20.30 Uhr, als ich Ende Januar bei Friends eintreffe. Klodin Erb hätte vor einer Stunde noch das letzte Bild an die Wand genagelt. Beim Apero mit Gästen, so erklärt das Künstlerduo huber.huber das Konzept des «experimentellen Formats» Freestyle Nr. 1 (12. Januar-02. Februar 2023), bringen geladene Künstler:innen ihre Werke mit, die mit einem Bier in der Hand aufgehängt oder aufgestellt werden.

Auf dem Weg vom Limmatplatz über die Langstrasse zu Friends an der Zweierstrasse 42 fühlte ich mich in die Zeit Anfang und Mitte der 2000er Jahre zurückversetzt, als es auf der Strecke von kleinen und mittelgrossen Galerien geradezu wimmelte. Am Season-Opening Ende August lief man – mit einem Bier in der Hand – quer über die Strasse von einer Galerie zur nächsten: von Elizabeth Kaufmann über Marlene Frei zu Brigitte Weiss, von Susanne Kulli über Haas & Fischer zur Römerapotheke und Groeflin-Maag (später Claudia Groeflin); von Artrepco (später Christinger De Mayo) zu Rotwand. Im aktuellen Flyer der Zürcher Galerien sind heute nur noch vier Galerien im Aussersihl verzeichnet. Auch viele jener, die es von der LISTE an die Art Basel schafften oder die sich im und um das Löwenbräu angesiedelt hatten, haben geschlossen, tätigen ihre Käufe seit der Pandemie primär in virtuellen Räumen oder sind mittlerweile an die Rämistrasse gezogen.

Viele der Künstler:innen, die bei Friends ausstellen, gehören jener Künstlergeneration an, die Teil des Galeriebooms der 2000er Jahre waren, wie Clare Goodwin etwa, Isabelle Krieg oder Marianne Engel, um nur wenige zu nennen. Während die Galerien, die sie und andere Künstler:innen am Anfang ihrer Karriere vertraten und aufgebaut hatten, verschwunden sind, bilden diese Kunstschaffenden heute selbst ein dichtes Netzwerk, das über fast zwei Jahrzehnte aus freundschaftlichen Seilschaften gesponnen und gefestigt wurde.

Freestyle Nr. 1, Installationsansicht im temporären Ort für Kunst Friends von huber.huber

Foto: Sandra Bradvic 

Neun Monate lang nutzen huber.huber den Raum an der Zweierstrasse. Friends verstehen sie primär als hybriden Ort für Experimente, der weder klassische Galerie noch Off-Space sei. Ein Ort für Kultur, der aus dem erweiterten Netzwerk von huber.huber bestehe, der geteilt oder mit anderen zusammengelegt werden könne. Die Kunst kann auch gekauft werden.

Obwohl Freestyle Nr. 1 eine jener Gruppenausstellungen mit über 20 künstlerischen Positionen ist, die meist mit nur einem Werk präsent sind, wirkt die Installation stimmig. Die Werke haben Luft zum Atmen. Die geladenen Künstler:innen seien ja auch erfahren, so huber.huber, sie bräuchten nicht als Kuratoren einzugreifen. Inwiefern, so frage ich mich, brauchen Kunstschaffende also Kurator:innen und Galerist:innen zur Vermittlung ihres Werks?

Huber.huber können tatsächlich als gutes Beispiel der erfolgreichen Selbstvermarktung – wenn man so will – gesehen werden. Sie arbeiten zwar wiederkehrend mit Galerien zusammen, werden aber von keiner fix vertreten. Im Newsletter, den das Künstlerduo in Eigenregie verschickt, informieren sie über zahlreiche und regelmässige eigene Ausstellungen oder über Projekte wie Friends. Seit Anfang des Jahres laden sie einmal im Monat ins Atelier zum Spaghetti essen ein. Man «mingelt» zwischen Küchenschränken und Kunstregalen, kauft Kunst oder von Freunden produzierte Gewürzmischungen. Bei Friends konnte man kürzlich sogar Tomatensetzlinge und Tomatenbilder ersteigern.

Mir stellen sich weitere Fragen: Wenn das eigene Netzwerk grösser wird als dasjenige der kleinen Galerie, wachsen die Künstler:innen dann zwingend aus der Galerie heraus? Wie gross kann Loyalität bei niedrigen Verkaufserfolgen tatsächlich geschrieben sein? Und weicht die Erfolgserwartung nur dann einer Freundschaft, wenn die Rechnung stimmt? Ist schliesslich doch das Geschäft – ob im White Cube oder im Off-Space abgewickelt – das, was Freundschaften im Kunstbetrieb am Leben hält? Und wenn es mal nicht so gut läuft, wer schuldet wem welchen Freundschaftsdienst und wer schliesslich hat die Macht und das Vermögen, diesen zu leisten? Dass Freundschaften im besten Fall auf Augenhöhe stattfinden, ist klar; dass man sich friends und Freunde auswählt, ebenfalls.

In ihrem Buch On the Benefits of Friendship (Sternberg Press, 2023) charakterisiert Isabelle Graw, Mitbegründerin der Städelschule in Frankfurt sowie der Texte zur Kunst, die Freundschaft im Kunstbetrieb und im «echten» Leben – wie auf der Webseite des Verlages zu lesen ist – als weder völlig uneigennützig noch auf ihren Nutzen reduziert. Für Graw ist Freundschaft eine existenzielle Notwendigkeit, sei es nur, weil sie aufzeigt, wie wir uns auf andere beziehen und von ihnen abhängig sind.

Esther Eppstein, message salon Wohnwagen, 1998-2000, caravan with awning, furniture, brochures, photos, various materials, video and audio works.

Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst, Image: Flavio Karrer 

Hanging around ist auch das Motto für eine Reihe von Gesprächen rund um den message salon Wohnwagen (1998-2000) von Esther Eppstein, der Teil der aktuellen Ausstellung Acts of Friendship – Acts 1 + 2 im Migros Museum ist.

Die Ausstellung wurde im April 2023 eröffnet, nur wenige Monate nachdem das Museum in einer Medienmitteilung über den bevorstehenden personellen Wechsel am Haus informierte. Heike Munder, die über 20 Jahre lang als Direktorin fungierte, habe sich entschieden, ab Juni 2023 beruflich neue Wege gehen. Im Zuge der Nachfolgeregelung werde das Museum in den nächsten Monaten den Fokus auf kollektive Führungsstrukturen legen. Die in drei Akten angelegte Ausstellung Acts of Friendship wurde als eine im Museumsteam gemeinschaftlich erarbeitete Ausstellung mit Werken aus der Sammlung vorgestellt. In Zeiten der Veränderung, so scheint es, besinnt man sich auf das, was man hat: Als Institution sind das die eigene Sammlung und die Mitarbeitenden. Letztere haben dann auch die Werke für die Ausstellung gewählt. Als ich diese vor ein paar Wochen wieder besuchte, war bereits Act 2 im Gange, u.a. mit Werken von Phyllida Barlow, Fischli/Weiss oder Elodie Pong.

Ein Werk ist jedoch weiterhin Teil des Displays: Esther Eppsteins message salon Wohnwagen (1998-2000). Was ihn von den anderen gezeigten Arbeiten unterscheidet, ist die Tatsache, dass der «Wohnwagen mit Vorzelt, Gartenmöbel, Prospekten, Fotos, verschiedenen Materialien, Video- und Audioarbeiten», weniger als Einzelwerk zu verstehen ist, wie es im Beschrieb heisst. Eher liesse er sich als nur eine von vielen Stationen in Eppsteins Praxis fassen, die eine Trennung zwischen der künstlerischen, dokumentarischen und kuratorischen Arbeit – wenn man so will – kaum zulässt.

Ihren ersten message salon eröffnete Eppstein an der Ankerstrasse 6 im Zürcher Kreis 4. In knapp anderthalb Jahren vom April 1996 bis Oktober 1997 fanden sagenhafte 49 Vernissagen statt. Als legendär galt und gilt ihr message salon auch deshalb, da er Mitte der 1990er-Jahre in einer Zeit entstand, in welcher das Wort Off-Space noch nicht gängig war und sich die unabhängigen Kunsträume in der Stadt Zürich erst zu entwickeln begannen. Mit «Knipsfotos», wie Eppstein die Fotoaufnahmen nennt, hielt sie 20 Jahre vor Facebook und Instagram die vielen Gesichter fest, die ihren Raum im damals noch im Verruf stehenden Kreis 4 aufsuchten. Primär waren dies Künstler:innen, dann zunehmend auch Kurator:innen, Journalist:innen und Sammler:innen.

Lang bevor eine Vereinigung unabhängiger Kunsträume in der Schweiz existierte, auf deren Website (www.offoff.ch) heute alleine in Zürich rund 60 Off-Spaces verzeichnet sind, bot message salon vor allem Eines: Einen Raum zur Begegnung, der durch die Gespräche und den Dialog der Menschen, die sich dort trafen, kennenlernten, Ideen austauschten, gemeinsam Zeit verbrachten, die dort lebten und arbeiteten, sich bei der Kinderbetreuung gleichermassen unterstützten wie bei der Entwicklung gemeinsamer Projekte, überhaupt erst geschaffen wurde.

message salon, so könnte man sagen, ist Eppsteins persönliches Dauerkunstprojekt und zugleich dokumentarische Momentaufnahme der Zürcher Kunstszene, die sie stets aus der Mitte heraus und an den Orten festhielt, wo sie grad stattfand: Im Monotony am Rennweg, im message salon an der Anker- und Rämistrasse, am Rigiplatz oder im nun im Migros Museum ausgestellten Wohnwagen, in welchen Eppstein Künstler:innen zu einer jeweils einwöchigen Ferienkolonie einlud. Auch dieser Space auf Rädern war an unterschiedlichen Orten stationiert, zunächst im Appenzell, im Rahmen der 1998 von Bice Curiger kuratierten Ausstellung Wahlverwandschaften und danach im Zürcher Industrieareal, an der Pfingstweidstrasse.

Obwohl nun Teil einer Ausstellung im Löwenbräuareal, dem Zürcher «Kunsttempel», behauptet der Wohnwagen – genau wie Esther Eppstein selbst – die eigene Autonomie. Betritt man ihn, so taucht man in ein Stück Geschichte der Zürcher und Schweizer Kunstszene ein und vergisst leicht, dass man sich in einer Ausstellung befindet, wo noch andere Werke zu sehen sind.

Vielleicht stellt sich dieser Eindruck auch deshalb ein, weil der Wohnwagen zu vermitteln vermag, dass die Abhängigkeit zwischen Museen und Off-Spaces insofern keineswegs einseitig ist, als dass einzig die «alternative Szene» vereinnahmt, institutionalisiert und zum Teil des «offiziellen» Kunstnarrativs werden kann. Zumindest für die Dauer der Ausstellungsreihe Acts of Friendship, die zu einer Zeit der personellen und vielleicht auch strukturellen Veränderungen realisiert wird, scheint sich das Migros Museum die Praxis des kollektiven Zusammenarbeitens angeeignet zu haben, indem die Wahl der Werke nicht dem Kuratorium vorbehalten blieb, sondern u.a. auch den Ausstellungstechniker:innen und -aufsichten gewährt wurde.

In diesem Vorgehen klingt durchaus Eppsteins «DIY-Methode» an, die ihr 2021 mit dem Prix Meret Oppenheim den wohl renommiertesten Schweizer Kulturpreis bescherte. In der Publikation über die Preisträger:innen beschreibt Eppstein DIY primär als Ansatz, Dinge selbst zu tun, sich dazu selbst zu ermächtigen und mit den Mitteln zu arbeiten, die zur Verfügung stehen.

Ob Eppstein nun endgültig in der Institution angekommen ist, oder ob das Migros Museum mit dem Fokus auf kollektive Führungsstrukturen auch für die Zukunft einen neuen, visionären Weg gefunden hat, bleibt zu diskutieren. Feststeht jedoch, dass sowohl message salon Wohnwagen sowie Acts of Friendship Anlass zum Nachdenken geben, welche Verschiebungen – räumlich und strukturell – sich über die letzten 20 Jahre in der Zürcher Kunstszene vollzogen haben, in den Kreisen 4 und 5 genauso wie in der gesamten städtischen Raum- und Kulturpolitik.

Acts of Friendship – Acts 1 & 2, 27. Januar bis 28. Mai 2023, Migros Museum für Gegenwartskunst
Friends, seit Januar 2023, Temporärer Ort für Kunst von huber.huber

Reading Rämistrasse

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