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Charles Ray

28.08.–23.10.1994

Der gleichzeitig mit der Kunsthalle Bern geschaffene Überblick über das skulpturale Werk des amerikanischen Künstlers Charles Ray bietet den in Europa wohl für lange Zeit einmaligen Einblick in eine künstlerische Schaffensweise, die in visueller Schärfe und Klarheit die bedrohliche Unstabilität der heutigen Bewusstseinslage bildhaft werden lässt. Die beiden Ausstellungen setzen Werke von 1973 - 1993 in unchronologisch freie Bezüge und schaffen so einen beziehungsreichen Erfahrungsraum für Rays skulpturale Solitäre, die bislang punktuell, aber aufsehenerregend an Grossanlässen wie der letzten Documenta in Erscheinung getreten sind, insbesondere in Form von auslaborierten Menschenfiguren zwischen lebensnahem Abbild und der Sterilität von Schaufensterpuppen.

Gerade das unmittelbare Zusammensein solcher Modellfiguren mit formal abstrakt ausgeprägten Werken verhindert eine klischierte Betrachtungsweise von Rays aufgeschreckten Stereotypen. Physische und psychische Realismen erweisen sich als nur vermeintlich greifbar-banal, abstrakte Normierungen wiederum sind unterschwellig von psychischer Virulenz getragen. So dreht sich der Rotating Circle, 1988, eine in die Wand eingelassene, motorbetriebene Scheibe, so schnell, dass sich unserem Auge die Illusion einer in sich ruhenden Kreisfigur darbietet: "Es ist diese unglaubliche Kraft, die an einem Punkt rotiert, wie ein verrückter Mensch, der vor Wut herumbrüllt." (Ch. Ray) Oder ein unten und oben offener Kubus aus Aluminium implodiert in seinen Innenmassen um gerade so viel in den Boden, dass dem Raumkörper, der an die faktische Präsenz der Minimal Art gemahnt, wie in Zeitlupe der selbstverständliche Grund entzogen wird.

Diese Momente halluzinatorisch-verlangsamter Verunsicherung, die einem erst allmählich den Teppich unter den Füssen wegziehen, arbeitet Charles Ray aus den Gegebenheiten des Konsumalltags heraus, die sonst kraft der Gewohnheit und Materialität über alle offenen Fragen hinwegsehen lassen. Im Schein realistischer Normalität befinden sich stillebenartig arrangierte Gegenstände auf einem Tisch, dessen Oberfläche nur noch in der Vorstellung existiert (How a Table Works, 1986), oder die erniedrigende Beschimpfung "fuck yourself" wird wortwörtlich variierend umgesetzt in eine Sexorgie von acht exakten Atomisierungen seiner selbst, Fiberglasgüsse nach dem Körper des Künstlers: Ohl Charley Charley Charley..., 1992. Die körperliche Drastik dieser in sich kreisendenJungesellenmaschine ist weniger Bild narzisstischen Vergnügens als vielmehr ein allgemeintypisches Bild für die rätselhaft absurden Wechselwirkungen von Geist und Körper, einer stummen Selbstbezüglichkeit, die auch für die Kunst gelten könnte. Aufschlussreich ist der Vergleich mit zwei frühen Schwarzweissfotografien (Plank Piece 1, Il, 1973), die festhalten, wie der Künstler selbst als ein skulpturales Element mit einer Holzplanke an die Wand geheftet ist. Der eigene Körper wird performanceartig-expressiv formalisiert und mit dem Körper der Kunst und des Wissens verbunden. Sie zeigen den Schmerz, die Welt ohne utopische Ausflüchte so zu nehmen, wie sie ist, und folgen Spannungsmomenten, dabei bei allem Verlangen, gegen Spielregeln zu stossen, auch augenzwinkernde Distanz zeigend.