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Jean-Frédéric Schnyder

06.06.–09.08.1998

Wenn man wie Jean-Frédéric Schnyder eine Leidenschaft für pleinairistische Landschaftsmalerei entwickelt hat und unweit von den Gestaden eines Sees lebt, dann muss man ihn wohl in geradezu selbstverständlicher Weise früher oder später als Bildmotiv verwenden. In diesem Sinne entstand anfangs März 1996, wenn die Sonnenstrahlen die winterlichen Nebelbänke über dem See zu durchbrechen vermögen und gegen Abend wieder einmal ein betörendes Farbenschauspiel veranstalten, ein erster "Sonnenuntergang am Zugersee", dem nur wenige Tage später ein weiteres Bild in Ol auf Leinwand folgte. Und so liess weniger eine systematische Konzeption, als vielmehr eine innere Notwendigkeit den Künstler in die Aufgabe wachsen, während eines ganzen Jahres - bis Februar 1997 - möglichst alle in Erscheinung tretenden Sonnenuntergänge malerisch vor Ort festzuhalten. Dabei waren jeweils die meteorologischen Bedingungen, die Uhrzeit des Sonnenunterganges und wegen seiner Wanderung der geeignete Standort im voraus abzuklären. Uberhaupt musste - um dem geweckten Vollständigkeitstrieb Genüge zu tun - der alltägliche Lebensrhythmus dem langfristigen Projekt unterworfen werden. Zuerst wurde jeweils die kreuzförmige Grunddisposition des Bildes in Angriff genommen, die die Sonne und ihre Spiegelung vertikal einmittet und die beiden horizontalen Bildhälften je Himmel und Wasser zuordnet, um dann für ihre raschen atmosphärischen Wandlungen bereit zu sein und sie im Augenblick erfassen zu können. Denn das Bild hatte mit dem Verschwinden der Sonne hinter dem Horizont fertig zu sein. Die Malweise wurde im Angesicht der nahenden Vollendung zusehends pastoser und freier, um etwa all den glitzernden und schimmernden Spiegelungen von Wolken und Lichtstrahlen auf der teilweise vom Wind bewegten Wasseroberfläche gerecht zu werden. Hier wich der kontrollierte Malakt einem Automatismus der Hand.

Haftete den Autobahn-Veduten quer durch die Schweiz, die 1993 an der Biennale Venedig gezeigt wurden, eine eher dumpfe Farbigkeit an, die die ausschliessliche Mischung aller Tonalitäten aus den Primärfarben zeitigte, werden jetzt etwa ein Türkis oder ein Rot, eigentliche Komplementärkontraste, aber auch zarteste Nuancierungen zur Darstellung gebracht. Die Entleerung des Bildgevierts von fester Gegenständlichkeit und ihrer Schattenwirkung führt Schnyders figurative Malerei an den Rand der Abstraktion. Und doch handelt es sich um das möglichst sachlich-objektive Abbilden von Naturphänomenen, die sich - einem magischen Sog ähnlich - in die Netzhaut einbrennen und ihr Gegenüber emotional berühren. Legten sich die Autobahnschneisen als zivilisatorische Zeitzeichen in den Jahreszeitenzyklus, fehlt hier jede anekdotische Menschheitsspur. Die zeitlos strahlende Transparenz jedes Gemäldes wird jedoch mittels schwarzer Kunststoffrahmen zeitgemäss wie Fernsehbilder oder Diapositive gefasst. In der räumlichen Ausdehnung, die die chronologische Reihung der 163 Bilder schafft, konkretisieren sich sowohl unterschiedlichste und höchst sinnliche Aufscheinungen in ihrer bodenlosen Flüchtigkeit als auch die ordnende Wiederkehr im steten Wandel, und so wird Zeit an sich materialisiert. Das durch Urlaubschnappschüsse und süssliche Machwerke von Touristenmalern wohl am meisten trivialisierte Landschaftsmotiv erhält in der beharrlichen und eindringlichen Variation Schnyders eine erneute künstlerische Ausstrahlung.