Zuvorderst ein leergefegter, hell beleuchteter Raum. Aus der ersten Stuhlreihe hüpft eine junge Frau in das grelle Zimmer und öffnet das Stück mit der Frage, ob diese leere Wohnung hier noch frei sei. «Frau Yamamoto ist noch da», entgegnet der junge Hausnachbar.
«Ich wusste nicht, dass ich es weiss.»
Diese Theatersaison im Schauspielhaus wird mit einer Uraufführung eingeläutet. Dea Loher schreibt und Jette Steckel inszeniert das Stück Frau Yamamoto ist noch da, das Menschen unserer Gegenwart und die Alltäglichkeit ihrer Beziehungen illustrieren soll. Der geografische Kontext wird nicht konkretisiert, denn Schauplatz sollen die Trost- und Charakterlosigkeit urbanen Lebens weltweit sein (das Stück wird zeitgleich in Tokio uraufgeführt (1)). Wir vermuten allerdings eine grössere Stadt im deutschsprachigen Raum.
Vor uns fliegen ca. 20 Erzähl-Fetzen, die lose aneinander geheftet sind. Ein Fetzen besteht meist aus einem Zwiegespräch. Selten beteiligen sich mehr als Zwei an einem Dialog. Musikalische Intermezzos, kurze Tanzeinlagen und das Verschieben der Requisiten – kurz: technische Spielereien – heften die vereinzelten Fetzen aneinander. So wird das Schauspiel einer Seifenoper angeglichen (das Lachen aus dem Publikum bleibt echt). Zwischenzeitlich werden farbige Trennelemente in rot, gelb, blau hoch- und runtergefahren. Wir setzen ihre Transparenz und Farbgebung mit etwas Post-Pandemie und Dia-Fotografie in Verbindung — eine modernistisch-nostalgische Ästhetik, die sich parabolisch durch den Abend trägt.
Am Rande der Erzählung befindet sich die vereinsamte und titelgebende Frau Yamamoto mit ihrem unausgesprochenen Wunsch nach Gesellschaft. Die Eckdaten ihrer Lebensgeschichte — ein Sohn der frühzeitig verstirbt, eine Beziehung, die daran zu Grunde geht, der Sturz in die Arbeit als Ablenkung — werden zwar erwähnt, doch das Spektakel um Frau Yamamoto herum macht aus dem Puls ihres Lebens eine Nebensächlichkeit. Sie wird übertönt und kommt uns zu kurz. Lieber hätten wir uns Chantal Akermans Meine Mutter lacht gegenseitig laut vorgelesen.(2) Die Empathielosigkeit deiner selbst, die dir im Stück erzählt wird, stimmt einfach nicht. Frau Yamamoto ist noch da ist eine überspitzte Darstellung einer inkompetenten Gesellschaft des Sich-Nicht-Zuhörens.
Die fragmentarische Häufung und die Verweigerung einer zusammenhängenden Erzählung trüben zudem die Lesbarkeit sensibler Aussagen. Das Stück schafft zwar leichte Querbezüge, allerdings scheint auf eine merkliche Entwicklung der Figuren und der dramatischen Handlung verzichtet zu werden. Sodass wir nach knapp drei Stunden Darbietung (inklusive Pause) fast am selben Ort wie zuvor sitzen — was sich symbolisch in der Wiederholung von Anfangs- und Schluss-Szene widerspiegelt.
Alles wieder beim Alten? Zurück zum «Schauspielhaus Zürich»?(3) Unser Tokio-Korrespondent berichtet: «Sagte mir jemand, das Stück sei vor 10 Jahren geschrieben worden, würde ich es glauben.»
(1) Uraufgeführt am 12. September 2024. «Yamamoto-san wa mada iru» [Frau Yamamoto ist noch da]. Yoshinori Koke (Regie). Tokio: Tokyo Engeki Ensemble.
(2) Chantal Akerman war eine belgische Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin. In ihrem Text Meine Mutter lacht rückt sie mit empathischem Blick ihre sterbende Mutter ins weiche Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie ermöglicht der Leserschaft Mitgefühl und Anteilnahme. Etwas anthropologisches ist dabei. Diaphanes Verlag. Zürich, 2022.
(3) Im Rahmen der letzten Intendanz: Benjamin von Blomberg & Nicolas Steman, wurden die Lettern an der Fassade des «Schauspielhaus Zürich» zu «Zchauspielhaus Sürich» neu arrangiert. Die neue Interims-Intendanz: Ulrich Khuon hat diese nun zurückgebaut. (Ebenfalls neu ist ein violetter Teppich im Foyer)
Frau Yamamoto ist noch da von Dea Loher, Schauspielhaus Zürich, Pfauen, Regie: Jette Steckel. Uraufführung: 12. September 2024, läuft bis zum 4. November 2024.
Mit: Alicia Aumüller, Judith Hoffmann, Mirco Kreibich, Daniel Lommatzsch, Matthias Neukirch, Sebastian Rudolph, Charlotte Schwab, Nikola Weisse, Thomas Wodianka. Kinder: Fritz Rudolph/ Konstantin Schwarz, Céleste Michaelis/ Carla Franken/ Sophia Franken