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Reading Rämistrasse #74: Michel Kessler zu Monkey off My Back or the Cat’s Meow vom Schauspielhaus Zürich - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #74: Michel Kessler zu Monkey off My Back or the Cat’s Meow vom Schauspielhaus Zürich

Disclaimer: Inszenierung, Choreografie, Bühne, Kostüme und Soundtrack von Monkey off My Back or the Cat's Meow sind von Trajal Harrell, der in März 2022 ein Stockwerk der Kunsthalle Zürich übernimmt.

Dieses obskure Objekt der Begierde, das die menschlichen Verhältnisse seit ihren Anfängen bestimmt, ist im Grunde eine Leere, ein Abgrund, ein Nichts. Während sich das Begehren anderer Tiere auf die realen Dinge in der Welt richtet, wird bei der Spezies Homo Sapiens das begehrte Objekt durch das Begehren selbst substituiert. Alexandre Kojève spricht diesbezüglich auch von «anthropogener Begierde». Die Begierde, zum Objekt der Begierde anderer zu werden, transzendiert die rein biologische Begehren nach Selbsterhaltung und verstellt dadurch gleichsam den Blick auf das Offene, auf den reinen Raum des Aussens, wie es die Kreatur mit allen Augen sieht.

Es ist die Kleidung, die den Körper bedeutungsvoll macht. Aus dem Leib-Sein wird ein Körper-Haben. Die Sprache der Mode verwandelt das Sinnlich-Gegebene in ein Zeichensystem, das Subjektivitäten produziert. Und der Ort, an dem diese Form von begehrten Begierden anderer exemplarisch zum Vorschein kommt, ist der Laufsteg. Eine langgezogene Bühne, auf der Modekörper Kleider zur Schau stellen, wobei das Repertoire von Gebärden, Gesten, Bewegungen und Haltungen relativ beschränkt ist. Mit angehobenem Kinn, gerichtetem Blick und an den Seiten mitschwingenden Armen zieht der Modekörper bis am Ende des Laufstegs seine Linie. Dort angekommen legt er das Gewicht auf eine Hüfte, um sogleich eine gefrorene Pose einzunehmen. Freeze.

Voguing wiederum ahmt die Gesten und Posen des werbenden Modekörpers nach und transformiert sie in Tanz. Die Fesseln werden gelöst und die Schwingen geübt. Kreisende und fliessende Regungen der Hände und Arme erweitern die Bewegungsabläufe einer Modeschau. Ein einzelnes Element einer Figur kann so zum Ausgangspunkt einer ganzen Choreographie werden, wie das Gehen auf Zehenspitzen, dass das Tragen von High Heels simuliert. Voguing amplifiziert den Wunsch nach Anerkennung, die Begierde mittels Kleidung, performativer Inszenierung und körperlichen Ausdrucksformen, Posen, Bodendarbietungen und Dips zum Objekt der Begierde anderer zu werden. Die Lust an der Darstellung des Selbst durch das Sich-Verkleiden bietet somit die Möglichkeit, durch die Inkorporierung verschiedenster semiologischer Codes eine Identität zu schaffen, mit der man aus der Gemeinschaft heraussticht. Voguing mit seinen Exuberanz-Formen der Imitation ist in dieser Hinsicht der tänzerische Spiegel einer urbanisierten Gesellschaft am vorübergehenden Ende der Universalgeschichte, wo die angelsächsische Wunschmaschine des Konsums immer differenzierter Begehrlichkeiten weckte und dadurch dem Einzelnen immer mehr Optionen gab, zu werden, wer man gerne sein möchte.

Diesem Fatum stellt sich Ankoku Butō diametral entgegen; der Tanz der Finsternis, der sich aus dem Widerstand gegen die Homogenese der japanischen Kultur durch den American Way of Life nach dem 2. Weltkrieg entwickelt hat. Dabei ging es gleichsam darum, die mehr und mehr nach innen gerichteten Augen nach aussen zu drehen und wie die Kreatur das Offene zu schauen. Im Butō wird ein ekstatisches Sehen hervorgerufen, das um dieselbe dunkle Abgründigkeit ritueller Energien kreist, die auch die griechische Tragödie gebar. Butō durchstrahlt das Nervenzentrum und nimmt den Leib der Tänzer in Besitz, der fortan von einer fremden Kraft bis ins Rückenmark durchdrungen ist. Rhythmen, verrenkte Gesten und sprunghafte Bewegungen stellen eine Verbindung zur Unterwelt her, die den Anderen plötzlich im tanzenden Körper erscheinen lässt und jede Ausprägung menschlicher Subjektivität in einem Zustand chthonischer Besessenheit auflöst.

Der Versuch also, Butō und Voguing auf einer Theaterbühne zu vereinen, kann nur gelingen, wenn sich das performative Dispositiv der Inszenierung nicht in einer Aneinanderreihung von Elementen, Zitaten und choreographischen Figuren verliert, sondern, der Nicht-Präsenz des nahenden Gottes eingedenk, eine Erfahrung erzeugt, die sich dem Rhythmus der Beschwörung folgend in den Tod einschwingt. Nur so wird der kollektive Körper von einem dionysischen Taumel ergriffen, der jene kultische Transformation initiiert, die den transgressiven Energien sowohl des Butō als auch des theatralen Zeremoniells entspricht. Andernfalls besteht die Gefahr, dass man wieder der Repräsentation des Selbst zum Opfer fällt und in einem System popkultureller Bezüge der «ewigen Gegenwart» gefangen bleibt, das sich alles einverleibt, was gerade en vogue erscheint.

Monkey off My Back or the Cat’s Meow, a piece for dancers and actors von Trajal Harrell, Schiffbau-Halle, Schauspielhaus Zürich, letzte Vorstellungen 29. und 31.12.21

Bild: Orpheas Emirzas

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