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Trisha Donnelly

27.08.–30.10.2005

Eine Ausstellung der amerikanischen Künstlerin Trisha Donnelly (geboren 1974, lebt und arbeitet in San Francisco) konfrontiert das Publikum immer mit der Erfahrung von Möglichkeiten und gelegentlich auch mit schierer Abwesenheit. Die Künstlerin arbeitet mit vielen Medien: Zeichnung, Video, Fotografie, Ton, Text und Performance (von Trisha Donnelly als "Demonstrationen“ bezeichnet) – aber immer lotet ihr Gebrauch der Medien den Ort aus, wo die “Dinge“ erst eigentlich ihre Existenz und ihre Bedeutung erhalten. Wenn Trisha Donnelly ein Foto einer Sphinxfigur «Hands that hold the Desert Down» (2002) betitelt, dann ändert sie nicht nur unsere Wahrnehmung dieses allzu bekannten Fotos (wenn es Realität wäre, dass die Wüste, der Sand der Wüste nur durch die massiven Läufe der Sphinxen sicher gehalten wären, was passiert, wenn sie aufstehen und sich davon machen, verschwindet dann auch die Wüste?), sondern auch die Bedeutung von Bildern allgemein und das Verhältnis von Sprache zu Bildern.

Wenn Trisha Donnelly mit der Soundarbeit «The Shield» (2004) Töne in physische Anwesenheit wandelt, indem sie mit einer ausgefeilten Tonfolge von sonoren tiefen bis metallisch hohen Tonfolgen und mit technischer Soundpräzision einen Raum mit einer nichtmateriellen Wand trennt, dann wandelt sie sinnliche Wahrnehmung von einem Sinn in den anderen, und spielt mit den Grenzen dieser Wahrnehmung, mit Realitäten, mit Sprache, Erfahrung und Zuordnung.

Synästhesie, also die Überlagerung oder gleichzeitige Wahrnehmung sonst getrennt erlebter Sinneseindrücke spielt im Werk der Künstlerin eine grosse Rolle (Farbensehen bei Buchstaben oder Zahlen, die Wahrnehmung von Formen beim Hören von Musik und vieles mehr). Dies nicht als Hinweis auf eine übersteigerte und überhöhte Wahrnehmungsfähigkeit der Künstlerin (oder von Künstlern im Allgemeinen), sondern als Möglichkeit und Durchlässigkeit zu einer Rekonfiguration von Realität.

Immer sind die Arbeiten der Künstlerin auf Momente absoluter Konzentration gerichtet – und immer auch auf die Gleichzeitigkeit von Magie, Irritation und einer konstruktiven Leerstelle. Immer auch führt uns ihre Arbeit über das, was wir auf den ersten Blick, die erste Begegnung, die erste Erfahrung meinen zu erfassen hinaus und kreiert ein in jedem individuellen Betrachter ein anders realisiertes Wechselspiel von Physischem und Imaginiertem, Realem und Fiktivem.

Trisha Donnellys Performances werden nie dokumentiert: Sie existieren als mündliche Überlieferung derer, die sie miterlebt haben, also in zahlreichen individuellen Versionen. Zur Eröffnung einer ihrer ersten Einzelausstellungen 2000 in der Casey Kaplan Gallery in New York ritt die Künstlerin hoch zu Ross als Kurier Napoleons in die Galerieräume, verkündete die Kapitulation des Kaisers (u.a. mit den Worten: «Er hat kapituliert, jedoch nur im Wort, nicht im Willen.») und ritt die Worte deklamierend «Ich bin elektrisch, ich bin elektrisch» wieder davon. In einer anderen ihrer Demonstrationen bat sie das Publikum laut aus dem Libretto von Alexander Skrjabins unvollendeter Symphonie „Mysterium“ vorzulesen - Skrjabin soll Synästhet gewesen sein, und diese Symphonie plante er als 7-tägiges Spektakel sinnlicher Sensationen, aus Musik, Text, Tanz, Licht, Feuer, Geruch. Nach der Lesung löschte die Künstlerin das Licht und spielte eine Aufnahme eines Musikstückes, während sie erläuterte, dass sie diese Aufnahme während einer Sonnenfinsternis gefunden habe. Nach ihrem Vortrag teilte sie mit, dass sie den nächsten Morgen des gesamten Publikums in Beschlag nehmen werde, und platzierte sich so im Bewusstsein jedes einzelnen Teilnehmers der Performance, eignete sich sowohl deren Zeit an, wie sie diese in ein Kunstwerk verwandelt. Alle Aktionen der Künstlerin sind mit grosser Konzentration und mit faszinierender Intensität ausgeführt – und sie spielen mit Gruppenphänomenen, kultischer Praxis und Mythenbildung – aber vor allem mit einer konsequenter Fortsetzung konzeptueller Kunstpraxis, die die Realisierung des Werkes immer erst im Betrachter, der Betrachterin selbst versteht.

Immer häufiger delegiert Trisha Donnelly die “Aktion“ selbst an das Publikum oder einen ausgewählten Protagonisten: Die Fotoarbeit «The Redwood and the Raven» (2004) etwa besteht aus 31 kleinformatigen s/w Fotos, für die Donnelly der Tänzerin Frances Flannery einen bestimmten Bewegungsablauf vorgab, den sie fotografisch dokumentierte. Gezeigt aber wird die Arbeit nur jeweils mit einem Foto, das von der Galerie, der Institution, dem Sammler jeden Tag der Präsentation gewechselt werden muss. Das Bild selbst schafft es nicht einen Bewegungsablauf in der Zeit zu dokumentieren; die Fehlstelle, der Übergang werden zentraler als das fixierte Bild.

Viele der Foto- und Tonarbeiten handeln von Ereignissen, die sich ankündigen, aber nicht vollziehen – was genau geschehen wird bleibt offen oder ist das Ergebnis unserer Fantasie, unserer Erinnerung, unserer Vermutung. Die Tonarbeit «Dark Wind» (2002) gibt periodisch das Geräusch eines heulenden Windes wieder – ein Erlebnis, das wir aus den frühen Westernfilmen kennen könnten, in denen der «Dark Wind» beliebt war, um ein Ereignis anzukündigen. Die Fotoarbeit «The Black Wave» (2002) zeigt das Naturphänomen der grössten Wellenausdehnung vor oder nach einem Sturm. Wind und Wasser, Ton und Bild weisen auf ein Ereignis, auf einen möglichen Vollzug, eine Veränderung. Und wie alle Arbeiten Trisha Donnellys realisiert sich auch hier das Werk mehr in einem System unterschiedlicher Verweise, denn aus Material. Angesiedelt zwischen Erfindung, wissenschaftlicher Analyse, Willens- und Vorstellungskraft wirken ihre Werke im Ephemeren, zuweilen Beiläufigen und stellen profunde Fragen über das was Kunst ist, welcher Realität wir vertrauen, und wie wir diese in den Zwischenräumen von Materie und Geist, Abstraktion und Erfahrung, Glauben und Wissen konstruieren.

Die Kunsthalle Zürich dankt:
Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Deutsche Bank Stiftung