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Audio, video, disco

Kuratiert von David Bussel

24.01.–26.04.2009

Die Kunsthalle Zürich freut sich, die internationale Gruppenausstellung «Audio, video, disco» mit den Künstlerinnen und Künstlern Nina Beier und Marie Lund, Claire Fontaine, Luca Frei, Sharon Hayes, Sturtevant und Cerith Wyn Evans vorzustellen, die von David Bussel kuratiert wird.

Die Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung richten ihren Blick auf verschiedene Ausprägungen von revolutionären Meinungsverschiedenheiten – soziale Bewegungen, Identitätspolitik – und denken über die Grammatik der Geschichte als einer losen Abfolge von Handlungen, Ereignissen und Entsprechungen im Widerspruch zu unserem Heute nach. Dieser Akt des Verhandelns, der Analyse revolutionärer Geschichte als nicht endender Prozess, befrachtet mit einem Gefühl des Argwohns und Zweifels, ist der thematische Ausgangspunkt der Ausstellung.

Obwohl sich die Arbeiten mit verschiedenen Manifestationen der Vergangenheit und den Diskursen befassen, die diese hervorgebracht haben, hinterfragen sie gleichzeitig die Positionen, die sie in ihrer Eigenschaft als Kunstobjekte zu besetzen suchen, indem sie Symbole und Codes zutage fördern, neue Geschichten über Geschichten erfinden. Eingebettet in diese historischen Verwerfungen jedoch sind verdrängte und ausgelöschte Elemente im Umfeld von Begegnungen zwischen ästhetischen und politischen Akten, bei denen die Künstler in der Tat die Wahl haben, ihren Untersuchungsgegenstand zu „verra-ten“, im Bemühen, ihn zu überdenken, seine angeblichen Ursprünge und seine Authentizi-tät zu pervertieren oder zu untergraben. Geschichten – sowohl persönliche als auch kollektive – werden unter Verweis auf einen abgeschlossenen Bereich im Zentrum hinter-fragt und als eine in ihre Teile zerlegte Formation eines weiteren flüchtigen Moments in der Zeit präsentiert. Indem die Künstler geschichtliche Abläufe des Protests in sprachlicher und bildnerischer Form neu ersinnen, schaffen sie Möglichkeiten, die Geschichte auf dem Weg über eine doppelte Umleitung, eine Wiederholung oder Neuverteilung des bereits neu Codierten zu überdenken, ohne es in die Zeit oder an den Ort seiner „Urszene“ zurückzubefördern.

The Archives (World Peace) (2008) ist eine Folge gerahmter Vintage-Protestplakate von Nina Beier und Marie Lund aus den 1960er und 1970er Jahren. Jedes Plakat ist zur Hälfte gefaltet und verbirgt seinen Inhalt. Einige Spuren dringen jedoch an die Oberfläche und werden zu Zeugnissen vergangener Handlungen und Wünsche, die hier als elegische Botschaften aus einer völlig anderen Zeit an einem völlig anderen Ort zu sehen sind. Die einzelnen Arbeiten, waagrecht in einer Linie angebracht, bei der sich die Falze in gleicher Höhe befinden, schaffen trotz ihrer geringfügigen Grössenunterschiede einen leeren Horizont, der an kommunales Gelände denken lässt, eine Archivgruft, die eine Vergangenheit beklagt, die sich der Nostalgie widersetzt und auf die nächste Zeit wartet... eine andere Zeit und einen anderen Ort, die zu aktivieren sind.

Das Kollektiv Claire Fontaine zeigt eine Auswahl aus seiner Serie Brickbats (2007): Skulptu-ren, aus normalen Ziegeln gefertigt, einzeln eingeschlagen in Kopien von Buchumschlägen und durch Gummibänder gesichert. Ein „brickbat“ ist ein Ziegelstein, der als Wurfgeschoss dient, und auch die Bezeichnung für abfällige Kritik. Durch die Verquickung beider Bedeu-tungen erinnert Claire Fontaine an die Strassenkämpfe vergangener Revolutionen mit brutaler Missbilligung der Armut kollektiven Denkens, wo die Geschichte und die Notwen-digkeit revolutionärer Handlungen und Wünsche durch das Gewicht der Kulturindustrie und einer auf Einigkeit ausgerichteten Politik praktisch zunichte gemacht wird.

Der Untertitel von Luca Freis Arbeit „Everything was to be done. All the adventures are still there.“ (2007) – ein Zitat des Autors und Künstlers Kodwo Eshun – ist ein Aufruf, eine Einladung zu intellektuellem und ästhetischem Experimentieren auf der Basis eines trostlosen Schwarzweissbildes der Place Beaubourg in Paris, der Platz, wo sich heute das Centre Pompidou befindet, jedoch bevor das Museum gebaut wurde. Die Fotografie zeigt die Gegend aus der Vogelperspektive, als sie bereits von ihrer historischen Vergangenheit gerausgerissen war – damals befand sich an dieser Stelle ein riesiger Parkplatz. Freis Arbeit ist von einer Melancholie durchdrungen, die durch die zeitliche Verzögerung zwischen Bild und Text ausgelöst wird. Sie bestätigt und verurteilt auf dialektische Weise den unverblüm-ten Idealismus und die ideologischen Werte dieses kulturellen Zentrums als Idee wie auch als Realität.

In the Near Future, London (2008) ist eine dreiteilige Diaprojektion von Sharon Hayes, die sich mit der Geschichte politischer Meinungsäusserung befasst, auf welche Weise diese zum Ausdruck gebracht wird und in welchen Formen dies geschieht – ihr verbales und visuelles Auftreten. Als Teil einer noch aktuellen Folge performativer Aktionen, die in New York, Wien, Warschau und – unlängst – in London stattfanden, greift die Arbeit auf nationale Entwicklungen und Redeweisen zurück, um die politische Kraft dissidenter Handlungen im Bezug zur Geschichte zu bewerten. Hayes inszeniert diese Aktionen allein und stumm mit handgeschriebenen Transparenten, die vertraute Slogans aus vergangenen Protestaktionen wiederholen. Indem die Künstlerin ideologisch befrachtete Bezüge in die Gegenwart holt, reaktiviert sie an einem völlig neuen Platz auf doppeldeutige Weise kollektive Erinnerungen an zivile und soziale Gegensätze, die immer vorhanden sind.

Seit über vierzig Jahren erkundet Sturtevant streng und unnachgiebig die Möglichkeiten des Denkens durch die Herstellung von Objekten. Wenn sie Arbeiten anderer Künstler wie Duchamp, Warhol und Stella „wiederholt“, eignet sie sich diese nicht einfach an oder kopiert sie, produziert sie nicht nur Ähnlichkeiten oder Simulacra, sondern schafft etwas mehr als das Original, um auf diese Weise dessen Originalität zu zersetzen und elementare Kategorien des Objektseins und des Sichtbaren überhaupt zu unterminieren. Sie fragt, welche diskursiven Formationen der Kunst die Existenzberechtigung geben und was es bedeutet, etwas noch einmal zum ersten Mal zu sehen. Beuys. La rivoluzione siamo noi (1988) ist ein Bild der Künstlerin in der Pose, Kleidung und Situation des Künstlers Joseph Beuys, wie er selbst in seiner Arbeit von 1972 auftrat. Hier fordert uns Sturtevant auf, darüber nachzudenken, was ihre Wiederholung der Aussage „die Revolution beginnt mit uns“ über Beuys’ eigene Praxis zu erkennen gibt, in der Kunst mit Sozialpolitik gleichgesetzt wird, und wie Diskurse über Denken, Unterschiede und den Körper sie stören könnten, nur damit wir sie besser verstehen.

Die Arbeit The Return of the Return of the Return of the Durruti Column (2008) von Cerith Wyn Evans ist wie ein Spiegel, der nur sich selbst reflektiert, eine endliche Feedback-schleife, die ein bereits wieder verwendetes Bild wieder verwendet. Der Titel bezieht sich auf eine doppelte Aneignung der anarchistischen Kolonne aus dem Spanischen Bürgerkrieg, der Durruti Column, durch die Situationistische Internationale in einem anonymen Plakat von 1967 – übertragen auf einen Comicstrip mit amerikanischen Cowboys und dieser weiter verwertet von Wyn Evans. Die Arbeit, ein Siebdruck auf Karton, ist mit phosphoreszierender Farbe hergestellt, die ihren Inhalt bei Licht unkenntlich macht, im Dunkeln jedoch leuchten lässt und damit nicht nur auf die Vergänglichkeit der Verkettung von Kunst und Revolution verweist, sondern auch auf die Gefahren, Geschichte als Spektakel misszuverstehen.

Mit einem speziellen Beitrag von Rosemarie Trockel.

Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Luma Stiftung, Point d’ironie, agnès b.