DE/EN

Tobias Madison

EP

02.02.–24.03.2013

Der Schweizer Künstler Tobias Madison (geboren 1985 in Basel, lebt und arbeitet in Basel und Zürich) gehört zu einer jungen Künstlergeneration, die oftmals mit kooperativen oder kollektiven Strategien den isolierten künstlerischen Schaffensprozess erweitert und dabei auch immer wieder in der Funktion des Kurators, Auftraggebers oder Urhebers auftritt. So vielfältig die Rollen sind, in denen Madison agiert, so sind es auch die Medien in denen er arbeitet: sie umfassen Skulptur, Video, Projektion, von Computerprogrammen generierte und unterstützte Malerei, Hörstücke, Texte, Fotografien oder Scans. Seine prozessual angelegten Werke sind voller Verweise und Umschreibungen vorgefundener Zeichen und brechen mit einer spielerischen Leichtigkeit die Grenzen und Kategorisierungen des Kunstsystems auf. Für die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich operiert Madison mit Rückkopplungen und Verschiebungen sowohl räumlicher wie gedanklicher Formen und Formaten von Ausstellungen, von Veranstaltungen, die üblicherweise mit Ausstellungen assoziiert werden, von Vermittlung und Kollaborationen.

Madison versteht die Ausstellung in Zürich, dem Wohn- und Arbeitsort des Künstlers, nicht als ein vom Raum beschränktes Format, als eine mit der Eröffnung stillstehende und beendete Präsentation, sondern vielmehr als die Möglichkeit der durch seine Präsenz begünstigte, experimentelle Form der zeitlichen und räumlichen Erweiterung und Intensivierung wie auch der Aufhebung und Umformulierung des klassischen Ausstellungsbegriffes. Madisons künstlerische Arbeitsweise der Besetzung, Neudefinition und Betreibung von Räumen aufgreifend – zusammen mit anderen Kunstschaffenden führt er in Basel den Ausstellungsraum New Jerseyy und in Zürich Wipkingen das Kino und den Buchladen AP News –, geht die Ausstellung der Frage nach, wie sich das Feedback externer Praxis in einer Ausstellung räumlich repräsentiert, sich Raum und Körper in physischer Präsenz und Absenz manifestieren und bestehende Gefässe neu gefüllt werden können. «NO; NO; H», die erste Zeile eines Schriftbildes, das als Ausstellungstitel operiert und auf der Vorderseite der Einladungskarte abgebildet ist, findet folgerichtig an mehreren Orten und in mehreren Aktualisierungsformen statt: Die Präsentation in der Kunsthalle Zürich wird Ende Februar umstrukturiert, mit neuen Werken erweitert und neuinterpretiert; ein Newsletter kündigt nicht nur Veranstaltungen an, sondern wird zu einer ephemeren Publikation, in der ein vom Künstler kontinuierlich fortgeschriebener Text und andere Inhalte verbreitet wird, der später in der auf die Ausstellung folgende Monographie veröffentlich wird; zahlreiche Veranstaltungen – z.B. Führungen von Madisons Mitbewohner Michael Zimmermann – stellen eine vom Ausstellungsort räumliche und gedankliche Verbindung zu diversen anderen Orten in Zürich her, wie etwa zu AP News; der Zusammenschluss mit dem befreundeten Clubprojekt H.O.M.E (HOUSE OF MIXED EMOTIONS) von Mathis Altmann, Lhaga Koondhor und Jan Vorisek erweitert die Ausstellung in die Longstreet Bar, wo ein dichtes zeitgenössisches Clubprogramm stattfindet und sich in die Ausstellung rückkoppelt. Für die Ankündigung dieser Clubnächte entwickelt der Künstler Mathis Altmann (geboren 1987 in München, lebt und arbeitet in Zürich) eine Reihe von Postern, die im Eingangsbereich der Ausstellungsräume präsentiert werden. Er arbeitet dabei mit Layoutvorlagen, die online für jedermann frei zugänglich sind und deren verschiedene Ebenen und auffüllbaren Schriftfenster Altmann für seine Poster dekonstruiert.

In der ersten Präsentationsphase wird die Beleuchtung der Kunsthalle Zürich durch die Videoarbeit MELT white-copper (2013) ersetzt. MELT white-copper entsteht im Vorfeld der Ausstellung, wenn die Räumlichkeiten der Kunsthalle Zürich zwischen Ab- und Aufbau der Ausstellungsinstallation für eine kurze Dauer leer stehen. Das Video zeigt Aufnahmen zweier Drohnen, die, ausgerüstet mit einem Stabilisierungssystem, eigenständig ihre Bahnen durch die leeren Ausstellungsräume ziehen. Sie zeichnen das Licht auf, das als zentrales Element die Ausstellungsräume der Kunsthalle Zürich prägt. Das Dokument dieser Grundbedingung der Ausstellungen wird selbst zum Werk, es überlagert als Beamerprojektionen in tautologischer und rückkoppelnder Weise die räumliche Konstruktion zur Sichtbarmachung von Ausstellungen aus Architektur, Licht und Bewegung mit der Erfahrung der Räume, des eigenen Körpers und des Werks als Kurzschluss und Aufhebung von Begriffen und Kategorien. MELT ist die Wiederaufnahme einer gleichnamigen lichtreproduzierenden Arbeit, die anlässlich von Art Futures der Hong Kong Art Fair 2012 entstand. In diesem Kontext fand auch die Arbeit NO (in Zusammenarbeit mit Emanuel Rossetti, 2013) ihren Anfang, die hier erweitert und weitergeführt wird. Kartonkisten sind im Fernen Osten, einem der Drehkreuze des internationalen Früchtehandels, ein Gegenstand, um sich seinen Lebensunterhalt mit deren Verkauf an Recyclingfirmen zu finanzieren. Auf der Suche nach weiteren Früchtekisten in Zürich, stiess Madison auf ein selbstorganisiertes Wirtschaftssystem: Immigranten aus Indien, Thailand, Pakistan, Vietnam, Sri Lanka und der Türkei haben mit den in der Heimat gebliebenen Familien ein globales Handelsnetz aufgebaut – Familienstrukturen werden zu Handelswegen. Madison verwandelt diese weltweit gereisten Kartonkisten in jeweils individuelle Universen, die ein Innenleben aus Lichtkonstruktionen und Gegenständen beherbergen, mit der Grosszügigkeit des DIY behandelte, surreales, sozialpolitisch aktiviertes Abfallmaterial; Kisten, die grosszügig oder unerforschlich mit ihrer Lichtgabe operieren; Kartonkisten, die nicht nur selbstorganisierte Systeme sind, sondern auch die Verwandlung und Verkehrung existentieller Bedingungen und das in einer Box gefangene Nichts, der leere Raum im Raum. Um die Thematik der Gegenwart von Abwesenheit, der Präsenz einer Nicht-Präsenz kreist auch die Arbeit Booby Trap (2013): Die Grundrisse in Realmassen der erweiterten Ausstellungsorte Longstreet Bar und AP News werden aus Armierungseisen geschweisst und mit Hell Bank Money versiegelt, die als grossformatige Skulpturen, als verändernde Strukturen und gedankliche Zeichnungen die real existierenden Räume der Kunsthalle Zürich überlagern.

Förderer