Julia Scher
Maximum Security Society
Seit den 1980er Jahren geht Julia Scher (*1954 in Hollywood, Kalifornien, lebt in Köln) der Entstehung einer «Hochsicherheitsgesellschaft» nach. Schers Ausstellung in der Kunsthalle Zürich entlehnt ihren Titel vom amerikanischen Soziologen Gary T. Marx, der die heutige Zeit der Allüberwachung als Maximum Security Society beschreibt. Diese Überblickschau bringt eine Auswahl von Arbeiten von Scher aus den letzten dreissig Jahren zusammen: Multimedia-Installationen, Videoarbeiten, Skulpturen, Publikations- und Internetprojekte (siehe auch hier). Scher bedient sich dieser Vielfalt an Medien, um aufzuzeigen, in welchem Mass Technologien wie Videoüberwachung, Bilderkennung und automatisierte Datenbankanfragen inzwischen alltäglich geworden sind und unsere Realität strukturieren. Indem sie gebräuchliche Überwachungsszenarien nachahmen, beschwören Schers Arbeiten Versprechungen von mehr Sicherheit und Bequemlichkeit.
Die zentrale für Zürich neu inszenierte Installation Predictive Engineering (1993-heute) gibt vor, Ausstellungsbesucher:innen auf verdächtiges Aussehen oder Verhalten zu überprüfen. Ihre Mischung aus echten und gestellten Filmaufnahmen belässt es im Unklaren, welche Form von Schutz (oder Bedrohung) man dabei erwarten sollte. Die Pseudo-Marke Security by Julia, unter der Scher seit den späten 1980ern arbeitet, verweist auf die kommerziellen Interessen, die hinter vielen Überwachungsinfrastrukturen stehen. Ein Verkaufsprospekt von 1991 bietet fiktive Dienstleistungen und Produkte wie «stichprobenartige öffentliche Auswertungen» und «Verhaltens- und Produktivitätsabweichungsdetektoren», aber Scher hat auch schon Unterwäsche, Kondome und – neu –Handdesinfektionsmittelspender unter dem Markenamen Security by Julia produziert. Maximum Security Society vereint zudem die drei Betten Mama Bed, Papa Bed und Baby Bed (2003), die, alle ausgerüstet mit Kameras und Monitoren, sichtbar machen, dass auch die letzten Winkel der Intimsphäre überwacht und übermittelt (heute: gepostet) werden. Zudem verweist die Konstellation Mama/Papa/Baby auf eine weitere Form von Überwachung, nämlich durch die Kleinfamilie und ihre normativen Vorstellungswelten, die sich bekannterweise gerade in Intimität und Sexualität besonders gut spiegeln beziehungsweise diese gewaltvoll beherrschen. Passend dazu wird der Film Discipline Masters von 1988 gezeigt, ein vier Stunden langes, bekenntnishaftes Selbstgespräch, in welchem die Künstlerin versucht, «ihr Verständnis für ihre Lebensgeschichte zu bewahren».
Scher ist für ihre zahlreichen visionären Überwachungsinstallationen bekannt, welche psycho-gesellschaftliche Dynamiken und Perversionen thematisieren. Dabei wird jedoch oft die formale, skulpturale Qualität ihrer Arbeit übersehen. Genau diese will die Ausstellung Maximum Security Society in der Kunsthalle Zürich hervorheben, sei es in Arbeiten wie Girl Dog Hybrid (2005), Hidden Camera (Architectural Vagina) (1991-2018) oder Surveillance Area (1994).
Mit besonderem Dank an Magnus Schaefer. Ebenfalls danken wir den Leihge- ber:innen der Ausstellung, Esther Schipper (Berlin), Galerie DREI (Köln), Mamco (Genf), SFMOMA San Francisco Museum of Modern Art, Galleria MASSIMODECARLO sowie Moritz Englebert, Damian Weber und Milica Lopicic. Die Künstlerin und die Kunsthalle Zürich danken ausserdem Otto Bonnen, Tereza Glazova, Eugène Kaïmanovitch, Claire Megumi Masset, Oz Oderbolz und Leevi Toija für ihre Mitwirkung an Predictive Engineering (1993-2022).
Der Ausstellungstext beinhaltet Auszüge aus einem Interview zwischen Daniel Baumann und Julia Scher. Den vollen Interviewtext finden Sie hier.