Genoveva Filipovic
Shiva 2019 ✆
Unter dem Titel Shiva 2019 ✆ zeigt die in New York lebende, deutsch-kroatische Künstlerin Genoveva Filipovic ihre neusten Bilder. Es ist eine Kunst, die es sich selbst und uns nicht leicht macht (aber auch nicht schwer), hermetisch ist und leicht daherkommt; scheinbar nachlässig, aber nicht anspruchslos ist und die so gar nicht nach Komplimenten Ausschau hält, sich selbst aber bewusst ist. Eine Malerei nach dem Ende der Malerei, das bekanntlich nie erreicht wurde, in den Köpfen der Historiker und Theoretiker jedoch existierte. Diese Vorstellung war mächtig und prägte massgeblich die Geschichte des 20. Jahrhunderts wie auch der Malerei - jedoch mehr für die Maler als für die Malerinnen. Im Zentrum stand dabei der Formalismus, also die Überzeugung, dass die Form über Autonomie verfügt, was freilich begleitet war von langen Begleittexten und grosser Interpretationslust. Dass Form zu Freiheit führt, wurde vom Postkolonialismus und Feminismus grundlegend hinterfragt und als eurozentrische Illusion bezeichnet. Damit geriet die Abstraktion, eine Königsdisziplin des Formalismus, in Schwierigkeiten. Sie wurde als ideologisch entlarvt, was wiederum dazu führte, dass der menschlichen Figur, deren Abbildung eigentlich als reaktionär galt, neue Berechtigung zugesprochen wurde.
Heute greift dieser Diskurs, abgelöst durch die Diskussionen um Identität und Gender, kaum mehr. Die eine Ideologiekritik löst die andere ab und Abhängigkeit erscheint unumgänglich. Diese Unmöglichkeit der Autonomie hat Künstlerinnen und Künstler wiederholt dazu veranlasst, auf eine völlige Entleerung der Malerei hinzuarbeiten, um wenigstens in ihrer radikalen Entledigung von allem Unnötigen einen Freiraum zu erlangen.
All das beschäftigt die Malerei von Genoveva Filipovic in gleichem Masse und auch nicht. In welchem Spannungsfeld ist ihre Arbeit zu verstehen? Wie lässt sie sich einordnen, wenn sie sich von kunsthistorischen Entwicklungen, aktuellen Genderdebatten und etablierten Sichtweisen nicht einschränken lassen will? Wenn sie sich dauernd entzieht und eine Hingabe an die Ablehnung praktiziert, welche einhergeht mit einer Ablehnung der Ablehnung? Es bleibt vorerst nur die Betrachtung dieser Bilder und was sie machen oder nicht. Nur eines ist sicher: In ihrer Kunst verbindet sich die «Verzweiflung des Künstlers vor der Grossartigkeit alter Ruinen» (J.H. Füssli) mit der Verzweiflung des Betrachters vor der Grossartigkeit alter Ruinen.
Was aber zeigt Shiva 2019 ✆? Die Ausstellung besteht aus 17 für die Kunsthalle Zürich entstandenen Bildern, fünf identischen Plakaten, einem liegenden Pappkarton und einer Reihe von räderartigen Drucken, als würden die Bilder bahnfahren wollen. Das alles ist kaum auf den Punkt zu bringen – genau das ist ihr Ziel. Es ist die Aufforderung, ruhig und präzise hinzuschauen und somit eine politische Geste in Zeiten, wo Bildwelten mittels einfachem Wegwischens in die Cloud verschwinden und Menschen durch simples «Ghosting». Filipovics Malerei betreibt Grundlagenforschung: Leinwand, vorwiegend schwarze und weisse Farbe, Abklebeband, Pinselführung (Duktus) und Bildaufbau. Was braucht es, um ein Bild entstehen zu lassen? Damit eine Fläche zum Bild wird? Damit ein Motiv entsteht bzw. verhindert wird? Spielt die Reduktion eine entscheidende Rolle? Möglichst wenige Pinselstriche? Oder leisten Überdeckung und Verdichtung dasselbe, wie Filipovics schwarze Bilder es vorführen? Wann «kippt» ein Bild? Welches funktioniert nicht? Und warum? Was verrät dies über das Sehen? Über unsere Vorlieben? Woher kommen diese Vorlieben? Sehen wir immer nur in Klischees und Mustern? Können wir diese durchbrechen? Welche Aufmerksamkeit gebührt einem Bild? Ist diese gerechtfertigt? Oder geschieht dies, weil die Bilder in einer Kunstinstitution hängen und wir uns darin befinden? Wer verschwendet hier welche Zeit?
Robert Ryman (1930-2019), der kürzlich verstorbene amerikanische Maler, hat viele dieser Fragen akribisch untersucht, insbesondere in Bezug auf die Malerei selbst. Über Jahrzehnte hat er mit seinen weissen Bildern die schier endlosen Konstellationen zwischen Träger (Holz, Leinwand usw.), Farbe (weiss, matt, glänzend usw.), Farbauftrag (grob, fein usw.) und Hängung (an die Wand, mit oder ohne Distanz usw.) durchgespielt. Es ging ihm um Klärung, um Aufklärung und Gelassenheit. Man hat in ihm den letzten Maler sehen wollen, aber auch einen Vertreter der Minimal Art, der Konzeptkunst und der Abstraktion. Dabei hat diese Malerei in ihrer Nüchternheit und etwas unerwartet einen poetischen Raum geschaffen, der Autonomie versprach.
Seither sind vierzig Jahre vergangen. Die Welt ist eine andere geworden und Filipovic ist eine Künstlerin. Neue Fragen sind aufgetaucht, viele sind die alten geblieben, die gleichwohl im neuen Kontext erneut angegangen werden. So wie wir jeden Morgen von neuem aufstehen müssen, drehen sich auch in hundert Jahren die Räder im Kreis. Die Verzweiflung der Künstlerin vor der Grossartigkeit alter Ruinen verbindet sich so mit der Verzweiflung des Betrachters vor der Grossartigkeit alter Ruinen. Wie diese Verbindung mit ernsthafter Leichtigkeit erreicht wird, führt uns die Ausstellung Shiva 2019 ✆ in der Kunsthalle Zürich vor. Womöglich entsteht damit ein Raum, der manche Poesie nennen. Andere Autonomie.
Genoveva Filipovic, *1986, lebt und arbeitet in New York.