«Es genügt nicht die Welt zu erklären, man muss sie auch versuchen zu verstehen. Das Verstehen wiederum erfordert Geduld, Zeit und ein bisschen Zuneigung.» schrieb der Philosoph Hans-Georg Gadamer 1960 in Wahrheit und Methode. Zweifelsohne beruht die Welt der Menschen auf kognitivem Verstehen. Aus dem Verstehen wiederum entspringt die Sprache. Sprache erklärt. Sprache macht zugänglich. Sprache verbindet.
Auch die Bilder des schwedischen Künstlers Paul Fägerskiöld entspringen dieser Sehnsucht, die Welt in ihren Zusammenhängen zu verstehen. In seiner Ausstellung New Gravity in der Galerie PHILIPPZOLLINGER reist er an den Ort aller Welträtsel. Seine aufs Wesentliche reduzierten Stillleben versuchen die Substanz dessen ausfindig zu machen, welche «die Welt im Innersten zusammenhält». Allerdings lässt sich die Welt, ebenso wie Fägerskiölds feinsinnige Gemälde, nur bedingt mittels reinem Verstehen ergründen, sondern bedürfen vielmehr der Erfahrung in natura.
Bekannt wurde der Künstler allem voran für seine Werkreihe Starry Nights: Sternenhimmel, die getreu die Astronomie der Vergangenheit als auch der Zukunft abbilden. Auch diesmal reist der Künstler in ein räumlich-zeitliches Universum, das sich der rein begrifflichen Wahrnehmung entzieht. Er wandelt in jener Dimension des menschlichen Daseins, die sich nur schwer in Sprache fassen lässt und nimmt hierbei die Fährte der Zusammenhänge aller Erscheinungen auf. Getrieben von Neugier tänzelt der Künstler am Brunnen der Erkenntnis und kreist um die Frage aller Fragen: In welcher Beziehung steht der Mensch zur Natur, zum Kosmos, zur Gesamtheit aller Dinge?
Gelüftet wird dieses Welträtsel natürlich nicht, denn die Antwort lässt sich nicht so mir nichts, dir nichts ergründen. Die Welt lässt sich am Ende nur erfahren. So auch Fägerskiölds Kunstwerke: Sie sind ein Ereignis. Sie fangen die unendliche menschliche Welterfahrung ein, die sich jenseits der Sprache offenbart. Denn am Ende bleibt einem stets nur die Reise vom Aussen ins Innere.
Jenes Ergründen des Ungreifbaren zeichnet sich in den Stillleben Tree (2025) oder Particle (2025) ab. Darin wird die Natur des Baumes auf seine rudimentärste Form reduziert und er dringt mit mikroskopischem Scharfsinn bis zum Atom vor. Während der Baum entfernt an den mythologischen Weltenbaum erinnert, aus dem laut nordischer Überlieferung alles Leben entspringt, sind Atome Verbindungskörper, sprich bilden die Grundbausteine aller Materie. Dabei changiert Particle (2025) je nach Blickwinkel zwischen Atom oder Planet, könnte gleichsam aber auch einen Zeit- oder Atemkristall darstellen. Vielleicht ist es auch nur die Abbildung eines Kinderspielzeugs. Wie dem auch sei, am Ende wird erkenntlich, dass jede Materie aus Atomen und im weitesten Sinne sogar aus Sternenstaub besteht.
Darüber hinaus werden seine Bilder zu Inseln der Dauer im reissenden Fluss der Zeit. In einer Epoche der Hast, wo oftmals auch die Kunst kurz angebunden scheint, laden seine Bilder zum Innehalten ein. Die Farbgebung wirkt ebenso vertraut als auch befremdlich und entzieht sich der Eindeutigkeit.
Ebenso irritieren die dargestellten Körper, die auf den ersten Blick nahezu perfekt scheinen, doch wo sich bei genauerem Betrachten geometrische Unregelmässigkeiten abzeichnen. Beispielsweise passen die Kugeln in Still Life (2025) nicht präzise aufeinander und könnten der Realität nicht standhalten. Somit entpuppt sich die anfängliche Symmetrie als Illusion und führt die Wahrnehmung in die Irre.
In dieser Hinsicht wird deutlich, dass die menschliche Beobachtung der sich manifestierenden Phänomene nicht der Wirklichkeit entspricht. Sie ermöglicht eine Sicht der Dinge, spiegelt aber nicht deren letztgültige Wahrheit wider. Die Wahrnehmung atomisiert sich. Sie zerfällt zu einer Aufeinanderfolge von Augenblicken und kriegt das unendlich Grosse nicht zu fassen.
Im Zeitalter der Beschleunigung zerfällt auch das Ich zu einer Aufeinanderfolge von Augenblicken und verliert dabei seine Beständigkeit. Fägerskiöld begibt sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit und fängt sie in seinen Kunstwerken ein. Darin scheint die Zeit einfach still zu stehen. Das rein begriffliche Verstehen weicht einem tieferen Empfinden. Man taucht in einen Brunnen des Erinnerns, einen fragilen und zugleich beglückenden Ort, wo die Reise, zu sich als auch über sich hinaus, beginnt.
Durch alle Gemälde hindurch lässt sich der universelle Klang des Kosmos vernehmen, der einen mit der Welt in Resonanz versetzt. Schliesslich klingt auch in diesen Bildern die unendliche Nacht unterm Sternenhimmel nach und in der Ferne tönen die Liebesworte Paul Celans aus dem Gedicht Atemwende:
Vor dein spätes Gesicht
allein—
gängerisch zwischen
auch mich verwandelnden Nächten,
kam etwas zu stehn,
Das schon einmal bei uns war, un—
berührt von Gedanken.
Paul Celan, Atemwende, 1967, II, 28
Paul Fägerskiöld, New Gravity, PHILIPPZOLLINGER, Rämistrasse 5, 8001 Zürich, 13. Juni–26. Juli 2025