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Reading Rämistrasse #100: Aglaia Brändli zu Anaïs Defago und Christina Huber im Projektraum13 - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #100: Aglaia Brändli zu Anaïs Defago und Christina Huber im Projektraum13

Schon wieder Zurich Art Weekend (ZAW)! Gefühlt alle drei Wochen findet auf Initiative des ZAW ein Wochenende ganz im Sinne des Kunstkonsums statt. Im November nennt sich das Programm Zurich Art Nov! Ob das Satzzeichen, das sich an den abgekürzten Monatsnamen heftet, als Befehl, Bitte oder Ächzen gelesen werden soll, sei dahingestellt. Art March! Art Nov(w?)! Hauptsache Zürich, Hauptsache Event und Hauptsache Cüplis (ja, ich trinke sie auch). Im Rahmen dieses Anlasses eröffnete vor etwas mehr als einer Woche auch die Ausstellung Double Heart im Projektraum13 beim Dynamo. Zu Gast ist Display, ein transitorisches Ausstellungsformat geleitet von Marie DuPasquier, das, ursprünglich in Berlin angesiedelt, seit 2020 keinen festen Standort mehr besitzt. Die Kuratorin hat zwei Künstlerinnen aus verschiedenen Sprachregionen auf ein Blinddate eingeladen: Christina Huber aus Berlin und Anaïs Defago aus Lausanne.

Im Ausstellungsraum an der Limmat treffen die beiden Positionen zum ersten Mal aufeinander.

Double Heart, Display@Projektraum13, Zürich

Bild: Anaïs Defago

Drei quaderartige Objekte von Defago stehen im Raum verteilt, zwei auf der unteren Ebene, ein kleineres auf der leicht erhöhten; genau so, dass die Objekte optisch auf demselben Niveau abschliessen. Sie ähneln Sockeln oder Pfeilern, die Referenz kann bei genauerem Betrachten aber genauso gut wieder verworfen werden. Details springen ins Auge, eine Seite erinnert an Holz– oder den Schalungsabdruck dessen auf Beton. Aber weder das eine, noch das andere Material scheint tatsächlich vorhanden zu sein. Beton wäre zu schwer, Holz zu weich. Die Objekte auf der unteren Ebene sind zweifarbig und die Farben geometrisch gesetzt, sodass sie die scharfe Form des Quaders erneut aufbrechen, sie dem Auge unzugänglich machen. Das kleinere Objekt auf der Erhöhung ist einfarbig, dafür fehlt ihm eine Ecke, beziehungsweise hat es zwei mehr. An den Wänden hängen Malereien von Huber. Gegenüber der Tür zwei grüne. Sie haben unterschiedliche Formate. Das eine ist gross, hängt ganz selbstverständlich neben dem Radiator und unter einer Wasserleitung, als wäre es schon immer dagewesen. Links davon, in der unteren Raumebene, ein schmales Querformat, das über der Wölbung der Wand hängt und darauf einen dreieckigen Schatten wirft, der an die entfernte Ecke von Defagos kleinem Quader erinnert. Vielleicht erkennt man einen menschlichen Körper, der sich regt und irgendwo unter den Schichten der Gemälde an die Oberfläche dringen möchte. An der gegenüberliegenden Wand sind die Malereien dezenter; sanfter; Rot und Orange! Von den Leitungen des Raumes hängen Ketten, deren metallische Kälte ich zu sehen glaube. An ihnen hinunter trieft trocknende Ölfarbe in Zeitlupe.

It’s a match. In ihrer Farbigkeit ergänzen sich die Arbeiten gar derart, dass die Behauptung einer zufälligen Konstellation (beide Künstlerinnen haben, ohne sich zuvor abzusprechen, ausgesuchte Werke nach Zürich transportiert) dazu verleitet, misstrauisch zu werden.

Double Heart, Display@Projektraum13, Zürich

Bild: Anaïs Defago

Die Art und Weise, wie die zwei Künstlerinnen und die Kuratorin den Raum bespielen und seine Eigenheiten integrieren, bringt ein Wechselspiel hervor, das dem Titel Double Heart alle Ehre macht. Es fällt mir schwer zu beschreiben, woran es liegt, dass mir diese Sonderausgabe von Herzblatt gelungen scheint, denn mein Puls ist durchgehend ruhig geblieben. Die Arbeiten der beiden Künstlerinnen funktionieren eigenständig, fügen sich in und mit dem Raum gleichermassen zu einem gemeinsamen Körper zusammen. Ein Körper, der keine Anstalten macht, aufzubegehren und ein Körper, der trotz zweier potenter Pumpapparate in keinen tachykardischen Zustand verfällt. Ketten, Farbreste, rote Bilder, Grün, Orange, Violett, abgeschnittene Ecken, Objekte im Raum und optische Täuschungen – ein rasendes Herz könnte durchaus Programm sein. Doch der beklemmende Moment der Überforderung, der Panik vielleicht, aber auch der Euphorie, bleibt aus. Und das ist wahrscheinlich gut so. Denn die zurückhaltende Präsenz der Arbeiten regt zum Nachdenken an. Ich bin mir zunehmend unsicher, was ich da eigentlich gesehen habe. Konservierte Bewegungen und Erfahrungen? Leichte Objekte, die lieber schwer wären? Die Übersetzung eines Lichtstrahls? Eine Träne auf rotem Grund, in einem Gesicht, das sich hinter zehn weiteren roten Schichten versteckt? Vielleicht, vielleicht, vielleicht und einmal eventuell. Mit Sicherheit Casablanca und ohne Zweifel The Essence of a Lemon. Irgendetwas fehlt, und irgendetwas habe ich verpasst – das ist merkwürdigerweise beruhigend und scheint den Puls raumübergreifend zu regulieren. Und weil immer etwas fehlt, gab es auch keine Cüplis, es gab Tequila Sunrise!

Double Heart, Anaïs Defago & Christina Huber, 7. November–7. Dezember 2022, Display@Projektraum13, Zürich

Reading Rämistrasse

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