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Paul Thek

06.07.–22.09.1996

Die gemeinsam von der Kunsthalle Zürich und dem Museum für Gegenwartskunst Zürich gezeigte Retrospektive bietet - nach Rotterdam, Berlin und Barcelona - die Gelegenheit, ein komplexes, eher in Vergessenheit geratenes Werk mit aufschlussreichen Bezügen zum aktuellen Kunstschaffen wiederzuentdecken.

Der 1988 verstorbene amerikanische Künstler hielt sich erstmals 1962-64 in Europa auf, um dann ab 1967 ein ganzes Jahrzehnt hier im häufigen Unterwegssein zu verbringen. In diesen zehn Jahren gestaltete er in verschiedenen Städten, so auch in Luzern, an zwei Documentas und zwei Biennalen von Venedig gross angelegte Environments, die zum Herzstück seines Werkes wurden. Zwischen Skulptur, Happening und Bühne angelegt und in sozusagen lithurgische Handlungsabläufe gebracht, blieb keine dieser präzis inszenierten Installationen gesamthaft erhalten. Nur Fragmente und Dokumente können einen Eindruck vermitteln von Theks Erlebnisräumen, die in Arbeitsgemeinschaft mit engen Freunden entstanden sind.

Und doch eröffnet sich ein opulentes Spannungsfeld von erstaunlicher Frische an erhaltenen Skulpturen, Installationen, Zeichnungen, Malereien und Dokumenten. So ist die Werkreihe der zwischen 1964-67 in New York entstandenen "Technological Reliquaries" (Technologische Reliquienschreine) zu sehen, die aus Wachs geformte Fleischstücke oder menschliche Gliedmassen in kühle Plexigehäuse oder gar in eine “Brillo Box" nach Andy Warhol einschliessen. Drastisch setzte Thek den menschlichen Körper in Widerspruch zur objektbezogenen Ästhetik von Pop und Minimal Art, die er als damals dominante Kunstströmungen zitierte, und - allgemeiner - zur amerikanischen Konsumkultur. Christliche Reliquien verfügen über die Kraft, zu entsühnen und zu heilen, entfalten ihre Wirkung aber erst in einem rituellen Geschehen, das sich Paul Thek in Europa erfand. Je länger er hier verweilte, umso mehr löste sich der politische Furor zu einer Gegenkultur, die mystischer und lichter wurde, auch verspielt, so insbesondere in den "Newspaper Drawings" (von denen einige in der Sammlung des Museums für Gegenwartskunst figurieren) oder den mit "The Personal Effects of the Pied Piper" (Die persönlichen Habseligkeiten des Rattenfängers) betitelten skurrilen Bronzen.

Theks "wonderful world that almost was" ist zwar mit dem Hedonismus der FlowerPower-Generation und ihrem Kult des sexualisierten Körpers und der halluzinativen Entgrenzungen liiert, ist aber genauso ein grosses Memento mori, das die Sterblichkeit des Körpers thematisiert, ihn als konfliktreiches psychisches Territorium zeigt.