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Reading Rämistrasse #108: Alina Noack zu Sonne, los jetzt! im Schauspielhaus Zürich - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #108: Alina Noack zu Sonne, los jetzt! im Schauspielhaus Zürich

Elfriede Jelinek leiht der Sonne ihre Stimme, oder umgekehrt gesprochen, die Sonne leiht sich Elfriede Jelineks Stimme. Sie spricht in personifizierter Gestalt zu uns Menschen. Sie malt uns ein düsteres Untergangsszenario aus, in welchem sie in brennender Wut menschliche Missetaten richtet und diese mit Flammen straft.

«Ich verbrenne die Länder und hinterlasse nichts, für keinen, Geschlecht egal, denn nach uns wird kein Geschlecht mehr kommen. Keine Erbschaft von mir zu erwarten. Für wen auch? Ich habe sie das Fürchten gelehrt, das schläft jetzt in ihnen, ich habe das Bedrohliche freigegeben.» (1)

«Im Donnergang arbeite ich mich voran und werfe mit Flammen. Jeder Flammenwerfer schaut alt aus neben mir. Ich bin die Mutter, aus deren Hand ganze Länder den Tod empfangen.» (2)

Nicolas Stemann inszeniert mit Elfriede Jelinek einen Text von Elfriede Jelinek. Als Sonne, los jetzt!, feiert das Stück Premiere am Schauspielhaus Zürich. Kaum wenige Wochen zuvor inszenierte Frank Castorf Jelineks Text Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! am Burgtheater in Wien. Beide zu sehen, wurde mir als besonderes Privileg zuteil. Über die Inszenierung des einen, ohne die des anderen zu schreiben, mag mir daher kaum möglich sein. In ihrer Struktur und Gestalt scheinen sie einander nah angelegt. Beide wachsen zu transgressiven Mittlerrollen und vermitteln uns, dem Publikum, darin Elfriede Jelineks Botschaft in aller Brisanz.

Das Bühnenbild von sowohl Frank Castorfs Inszenierung in Wien, als auch Nicolas Stemanns in Zürich präsentieren sich als fast vollständig ausgeleuchteter, räumlich ausgedehnter Bühnenraum. Eine klassisch, theatralische Trennung zwischen Vorder- und Hinterbühne weicht einer Trennung in Unter- und Überbühne. In beiden Stücken führt ein Treppenlauf hinab in ein unbekanntes Unterleben, das uns Castorf durch videographische Nahaufnahmen, auf Leinwand projiziert, nachvollziehbar macht. In Stemanns Inszenierung hingegen verweist dröhnende Musik auf einen Club im Untergrund, aus welchem die Schauspieler:innen in wechselnden Kostümierungen wieder empor tauchen, uns szenisch aber verschlossen bleibt. Dominiert wird der Bühnenraum bei Castorf durch ein enorm großes Gesicht. Durch dessen Augen blicken wir hinein in ein hohles, räumliches Inneres. Das Gesicht in Lärm. Blindes sehen. Blinde sehen! scheint blind und taub zugleich. Lärm hat es innerlich aufgelassen und hohl gemacht. Stemanns Bühnenraum wird in Sonne, los jetzt! durch die Titelgeberin, die Sonne, als heroische, mahnende Gestalt, dominiert. Im Publikumsgespräch des Schauspielhauses Zürich konstatiert ein Mitglied des Ensembles, Jelineks Texte flössen durch sie, die Schauspieler:innen, hindurch, auf uns, das Publikum, herab.(3) In iterativer Besetzung nehmen die fünf Bühnenschauspieler:innen abwechselnd die Stimme der Sonne und damit den Platz des Rednerpults am rechten Bühnenrand ein. Auf ein, durch ein Tuch überspanntes, kreisrundes Rahmenkonstrukt, wird grossformatig und in Nahaufnahme ihr gerichtetes Gesicht projiziert. Sowohl die Schauspieler:innen als auch die Inszenierung selbst, werden sodann zu Träger:innen des Anliegens, mit dem Elfriede Jelinek, als die Sonne, in unaufhörlichem Wort- und Satzstrom zu uns spricht.

Schauspielhaus Zürich, Sonne, los jetzt!

Foto: © Philip Frowein

Geht Castorf schon zu Beginn seiner Inszenierung von Chaos aus, lässt Stemann das Bühnenbild sukzessive und in dichotomen Motiven in Chaos versinken. Im Geiste des Überflusses kapitalistischer Zeit wird von links herein ein Berg Abfall in den Bühnenraum geschoben. Ein Schweizer Gletscher schmilzt und zerfliesst langsam zu einer Pfütze. Die Sonne brennt alles Leben auf der Erde nieder. Bloss sich selbst zerstört sie nicht. Sie selbst zerstört ein unaufhörlich, langsam von der Decke nieselnder Regenstaub, der sich letztlich in der Pfütze des Gletschers fängt. Die sich im Regen auflösende Sonne wird in einem Akt menschengemachter, zerstörerischer Wut bis ins Letzte in Fetzen zerrissen. In Jelineks Text hätte die Sonne ihre eigene innere Hitze noch gegen alle äußere Zerstörungskraft abzuwehren gewusst.

«Da fahren sie schon wieder mit ihren Wasserwagen herum, so zeigt sich ihr umweltliches Besorgen. Mit Wasser wollen sie es mir besorgen. Das ich nicht lache!»(4)

Elfriede Jelinek drückt sich sprachlich durch eine Vielzahl von Bildern aus, die im Einzelnen eigene Erzählungen eröffnen, und in ihrer Gänze einen Inhalt bloss intendieren, nicht aber absolut setzen. Die starke Metaphorik, die diffus in verschiedene Richtungen ausschwärmt, lässt sich als Leser:in kaum in ein einzelnes Bild einfangen, schwieriger noch in ein dreidimensionales Bühnenbild oder szenographisches Schauspiel. Castorf und Stemann wagen den Deutungsversuch, distanzieren sich dabei stellenweise von Jelineks Text. In einer dichten, strukturellen Überlagerung wechseln die Stücke zwischen Jelineks mahnenden Textpassagen und einer komödiantischen, zeitweise auch musikalischen Auslegung und theatralischen Aufdehnung. Jelineks Texte werden dazu in ihrem Ton weitergeschrieben. Die ihrer Sprache so eigene Dichte an Wortkaskaden verflüchtigt sich dabei leise zu dessen Singsang, entbehrt aber deshalb nicht ihr starkes, sprach-politisches Moment.

Schauspielhaus Zürich, Sonne, los jetzt!

Foto: © Philip Frowein

Mich auszudrücken durch eine dichte Verflechtung von Worten und Bildern, ohne diese zu pointieren, zu präzisieren oder final auf ein einzelnes Argument zu zuspitzen, lese ich als politisches Moment oder Instrument, bemächtigt bestehende Denk- und Ordnungsstrukturen zu erschüttern in deren Manifestation. «Ich habe hier Wittgensteins letzte, lose Aufzeichnungen vor mir, die er nicht mehr ordnen konnte, dass all die Finger seiner Gedanken eine Hand ergeben hätten, aber auch mit der Hand selbst beschäftigt er sich. Nur wenn man überhaupt weiss, dass hier eine Hand ist und nicht ein paar Finger einfach so herumliegen, kann einem klar werden, dass etwas, das so und so scheint, nicht die Folgerung zulässt, dass es so IST. 'Dass es mir – oder allen – so scheint, daraus folgt nicht, dass es nur so ist.’», zitiert Elfriede Jelinek Ludwig Wittgenstein, gedruckt im Programmheft von Sonne, los jetzt!.(5)

(1) Vgl. SONNE/LUFT, Elfriede Jelinek, s.7
(2) Ebd.
(3) Vgl. Publikumsgespräch 13.01.2022, Schauspielhaus Zürich
(4) Vgl. SONNE/LUFT, Elfriede Jelinek, s.7
(5) Der ganze Hintergrund Ein fremdes Gestirn (für Nicolas Stemann), Elfriede Jelinek, s.3

Sonne, los jetzt, letzte Aufführung 7. Februar, Schauspielhaus Zürich, Pfauen

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