DE/EN

Wilhelm Sasnal

23.08.–02.11.2003

Wilhelm Sasnal, der 1972 in Tarnów geboren ist, lebt und arbeitet nach Studien der Architektur und der Malerei im nicht weit davon entfernten Krakau nun wieder an seinem Geburtsort. Er ist in den letzten Jahren vor allem im Kontext der zahlreichen thematischen Gruppenausstellungen zur Malerei der Gegenwart und besonders im Kontext eines reaktivierten Interesses am Realismus in der Malerei bekannt geworden.
Seine Arbeiten waren unter anderem in den Ausstellungen Urgent Painting, ARC Paris, 2002, in Painting on the Move, Kunsthalle Basel, 2002, und als Insert in die Sammlungsbestände des MUHKA, Antwerpen, 2003, zu sehen. Die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich ist die erste Einzelausstellung des polnischen Künstlers in einer Institution überhaupt. Sie umfasst mehr als 60 Gemälde, Arbeiten auf Papier und Filme des Zeitraums 1999 bis 2003.

Wenn man die Gelegenheit hat ein CD-Archiv der Arbeiten der letzten Jahre von Wilhelm Sasnal einzusehen, überwältigt die schiere Masse und stilistische Breite seiner Bilder. Seit 1999 sind mehr als 700 Gemälde entstanden und parallel dazu eine unüberschaubare Anzahl von Arbeiten in den Bereichen Bleistift- und Tuschezeichnung, Fotografie und Film. Bereits die Menge seiner künstlerischen Produktion lässt darauf schliessen, dass es dem polnischen Künstler nicht um eine Reaktivierung der Malerei als ein Medium der auratisch aufgeladenen Authentizität und des raren Originals gehen kann. Und auch stilistisch ist seine Arbeit von einer Zeiten und Medien übergreifenden Breite: Pop, Photorealismus, Abstraktion, Minimalismus, Gestische Malerei, Lineaturen, Dokumentarisches, Surreales etc. Dennoch scheint für ihn das zweidimensionale Bild, ausgeführt mit Ölfarbe auf Leinwand, zur Zeit das interessanteste, vielleicht auch praktikabelste Medium seiner künstlerischen Produktion zu sein.

Wilhelm Sasnal «malt» von der Realität, das heisst von einer Realität, die geprägt ist von der allgegenwärtigen medialen Vermitteltheit der Wirklichkeit durch Bilder und von dem dadurch präsenten Kontinuum Realität – Fiktion – Bild.
Er benutzt die Kompositionsmuster dieser Bilder, die unsere Wirklichkeitswahrnehmung prägen und damit unsere Wirklichkeit erst generieren: Bilder von Katastrophenmeldungen der Presse, wie Aufnahmen der explodierenden Boing über Lockerbie, Autounfälle, Flugzeuge, die beim Start in Flammen aufgehen, Atombombenexplosionen, aber auch Sportmeldungen; er bewegt sich entlang der Layouts spezifischer Magazintypen oder thematischer Bücher: Jägermagazine, Bücher über die Mondlandung oder UFOs, Bücher zur Fauna und Flora Polens oder der Tierwelt allgemein – Affen, Farbe, Pilze, Parasiten... Eigene Fotografien wie Porträts von Freunden oder Abbildungen von Gegenständen des Gebrauchs, der Konsumwelt oder der Pornographie sind ebenso Gegenstand seiner Bilder wie Werke des Fotografen Rodtschenko oder Kunstkataloge, wie etwa das Cover eines Alex Katz Katalogs, Landschaften aus Katalogen des Landart Künstlers Robert Smithson, Smithson selbst oder Beuys in Polen. Aber auch Politiker, Schriftsteller und ihre Werke, Regisseure und ihre Filme, Musiker bekannter Gruppen inklusive ihrer Plattencover werden seine Bilder: Sonic Youth, Stereolab, The Clash, die Einstürzenden Neubauten, die Filme Shoa, Duell und vieles mehr. Politisch aktuelle Themen, wie die von einer bedrohlich antisemitischen Stimmung geprägte Aufarbeitung des Umgangs mit der jüdischen Bevölkerung Polens während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg, adressiert Sasnal in einer Auseinandersetzung mit den Comicbüchern Art Spiegelmanns, das eigene biographische Umfeld wird vielleicht mit den Bildern von Kirchen und Buchdeckel polnischer Publikationen der 60er und 70er Jahre herausgefordert. Wilhelm Sasnal malt diese «Dinge», so wie sie ihm entgegentreten. Seine Gemälde sehen aus wie die vergrösserte schwarz-weiss Grafik einer Comiczeichnung oder wie die minutiös und meisterlich gemalte, photorealistische Umsetzung einer Fotografie in das Medium der Malerei. Sie können aber auch mit popähnlichen Farb- und Formkompositionen operieren, sentimental-atmosphärische Farbstimmungen evozieren, gestisch emotionalisierte Farbaufträge zu Abstraktionen nutzen oder Bildausschnitt und –anschnitt als Merkmale einer kompositorisch bereits abstrahierten Bildauffassung herbei zitieren.

Sasnals Bilder registrieren Realität flächendeckend, vom heimischen Kühlschrank bis zur atomaren Bedrohung. Sie sind komplexe, zugleich physische wie psychische Aneignungen. Die Quelle, und damit die primären Medien- und Kulturbilder sind präsent, ohne einen eindeutigen und einheitlichen Zugang zu den Bildinhalten seiner Gemälde zu gewähren. Der Inhalt seiner Bilder ist aufgebrochen, ausgesetzt, herausgezögert und als neu zu bestimmender freigesetzt. Die vertraute Sprache des medialen wie kunsthistorischen Bildmaterials, dem wir in den Bildern Wilhelm Sasnals begegnen, verweigert sich bekannten Interpretationen und kreiert einen Raum der Irritationen, die diese zuweilen sogar bedrohlich werden lässt.


Seine Bilder sind Gegenstände, die sich von den vielgestaltigen, mehrfach überlagerten Interpretationsebenen der ebenso vielfach thematisierten und kritisierten medial vermittelten Realität entledigt haben. Sie verweigern sowohl das Bekannte der Bilder selbst, wie das Bekannte einer scheinbar objektivierten und kritischen Annäherungssystematik an sie.


Sie setzen der zum Allgemeinplatz und damit als kritisches Analyseinstrument dünn gewordenen Medienkritik, mit der wir allen Bildern bereits begegnen, die scheinbar «unpolitischere» aber um so direktere subjektive Befragung entgegen. Sasnals Bildproduktion setzt sich von der kunsthistorisch problematisierten Beziehung der Malerei zur Fotografie ebenso ab, wie sie sich von den kritischen Diskursen um die mediale Manipulierbarkeit der Welt entfernt hat: Wilhelm Sasnal hat die mediale Oberfläche unserer Welt ohne Hierarchie zu den scheinbar realeren Elementen unserer Wirklichkeit seinen Wahrnehmungen «zugrundegelegt». Kritik und Bedeutung entsteht in seinen Bildern gerade durch die gleichgewichtete Annäherung eines Subjektes an alle Ebenen unseres Realen.
In seinen Bildern begegnet man vor allem dem Sehen als aktiver Realitätsproduktion – sowohl dem Sehens des Künstlers wie dem Sehen in der Erfahrung der Bilder selbst. Sie bieten eine Präsenz der Wirklichkeit an und lassen diese so als Realität vielleicht wieder verfügbar werden.

Die Kunsthalle dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Pro Helvetia Krakau