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Jeroen de Rijke / Willem de Rooij

15.11.2003–11.01.2004

Jeroen de Rijke (geb. 1970) und Willem de Rooij (geb. 1969) arbeiten seit 1994 zusammen. Ihr Werk kreist um die Problematik der Repräsentation in künstlerischen und medialen Bildern, kulturgeschichtlichen Artefakten, gesellschaftspolitischen Formen. In Filmen und Fotografien operieren die Künstler mit der “Schönheit” bekannter Kompositions- und Formprinzipien und der verführerischen Projektionsfläche, die diese für uns darstellt. de Rijke / de Rooijs Bilder irritieren dabei immer, denn ihre meist auf eine Einstellung, eine Handlung oder ein Objekt konzentrierten und reduzierten Bilddestillate intensivieren den Zweifel am “Bild” und initiieren einen Diskurs über unsere kulturell geprägten Lesarten von Erscheinungen, über das, wie wir Bilder benutzen und wie diese uns prägen.

de Rijke / de Rooij verschränken Bilder und Kompositionsprinzipien aus der Geschichte der Malerei wie auch von Kino und Video mit Bildwelten der kommerziellen Bildindustrie und formalästhetischen Elementen der zeitgenössischen Kunst. Ihre Filme sind mit dem professionellen Apparat der Filmindustrie gedreht. Gezeigt werden sie nicht im Kino, sondern ausschliesslich in Räumen für Kunst, dort aber beanspruchen die Künstler ein optimales Kinosetting, kontrollieren sowohl auf bildlicher, auditiver wie installativer Ebene die Wahrnehmung der Arbeiten bis ins letzte Detail. Der Ausstellungsraum ist wie eine Skulptur behandelt, definiert durch die technische Apparatur und die Sitzmöglichkeiten, ein hybrider Raum zwischen Kino und Ausstellung, der als minimale Skulptur präsent ist, auch wenn der Film nicht gezeigt wird. Auch die zeitliche Erfahrung des Publikums wird durch die Künstler strukturiert, denn der im Ausstellungskontext sonst übliche Endlosloop und die damit verbundene arbiträre Verfügbarkeit der Bilder / der Filme für das Publikum ist verunmöglicht: Vorführungen gibt es zu genau bestimmten Zeiten oder auf Anfrage. de Rijke / de Rooij sind dennoch nicht an den traditionellen Narrationsformen des Kinos interessiert, sie stellen vielmehr die Eigenschaften von Kino und Film als Aggregate des bewegten Bildes frei: Zeit- und Raumerfahrung, Dialoge, Sound, Licht, Einstellung sind je eigene “Akteure” und entwickeln je eigene parallele Qualitäten. Häufig prägt Langsamkeit ihre Filme. Sie verstärkt und macht erst möglich, was im Werk der Künstler zentral ist: Das langsame Erschliessen der Ambivalenz eines Bildes, einer Szene, eines Präsentierten. So beginnen ihre Filme oft als abstraktes oder verdunkeltes Bild, das in der Zeit des Filmes einen Gegenstand, einen Zustand allmählich offenlegt.

Die hybriden Erscheinungsformen unserer Gegenwart sind inhaltlich zentral für die Künstler und verwandeln ihre abstrakt schönen Arbeiten in gesellschaftspolitische Stücke, da sie kulturell differente Identitäten und Wirklichkeiten transportieren. Als Einwohner eines ehemaligen Kolonialstaates erleben sie die Erscheinungsformen und Probleme kultureller Adaption als hautnah identitätsstiftend, als kosmopolitische Bürger erleben sie diese als globalisiertes Thema eines Zusammenlebens im Zeitalter von Migration und der Hybridisierung kultureller Identität. de Rijke / de Rooij thematisieren das “Eigene“ und das “Fremde“ dabei als Verfeinerung der Differenzen, die eine intensivierte Aufmerksamkeit für Unterschiede einfordert. So zum Beispiel zeigt eine frühe Arbeit «Of Three Men» (1998) den Innenraum einer neoromanischen Kirche in Amsterdam, die heute als Moschee genutzt wird. Bildausschnitt und Kameraperspektive erinnern an Kircheninterieurs des Malers Pieter Saenredam. Einzige Handlungselemente sind der Wechsel der Lichtverhältnisse, ein langsames Kreisen des tiefhängenden Kerzenleuchters und rare Bewegungen von drei auf dem Boden sitzenden Männern. Oder «Bantar Gebang» (2000): In einer einzigen Einstellung und Totale und in der verklärten Bildmanier eines Pieter Breughels d. Ä. wird der Tagesanbruch in einem Slum ausserhalb Jakartas gezeigt und zunehmend zum zweifelhaften Bild. Die Bekanntheit bildkompositorischer Referenzen – und die Schönheit der Kompositionen – sind im Werk der Künstler immer überdeterminiert und kippen Repräsentation in kritische Präsenz: Blumen, die ideale Liebe, das Kino, die zentralperspektivische Totale, das Numinose einer Landschaft / der Natur, die Darstellung nicht kommensurierbarer gesellschaftlicher Realitäten treten in Konflikt mit den Bildern ihrer Repräsentation.

Mit zwei Blumenbouquets, einem 35mm Film, Fotografien ausgewählter orientalischer Teppiche und einer Gruppe abstrakter 16mm Filme führt die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich Arbeiten der letzten zwei Jahre zusammen. «Bouquet II» (2003) bezieht sich auf Pressefotografien, die im Umfeld der Verurteilung der muslimischen “Ehebrecherin” Amina Lawal zum Tod durch Steinigung im März 2002 und der für November 2002 in Nigeria geplanten und durch zahlreiche Unruhen und Opfer verunmöglichten Durchführung der Miss World Wahl 2002 erschienen sind. Protagonisten sind des Weiteren die in Holland geborene Miss World 2002 Azra Akin und die nigerianische Miss World 2001 Abgani Darego; Isioma Daniels, eine in England aufgewachsene christliche Nigerianerin, die aufgrund ihrer Artikel unter die Fatwa geriet und die in Somalia geborene Ayaan Hirsi Ali, deren Kritik an linken Integrationsmodellen und Beitritt zu einer konservativ-rechten Partei zum Vorwurf des Verrats linker Interpretationsmodelle, die sie als Emigrantin fraglos einnehmen sollte, und schliesslich zum amerikanischen Exil führte. Elemente der Pressefotografien sind als Blumenkomposition “interpretiert“ – eine “verunreinigte“ (und vergängliche) Naturschönheit tritt uns entgegen.

Mit wissenschaftlichem Technikapparat und in der Manier abstrakter Experimentalfilme zeigt «Crystals I – IX» (2003) Kristallisationsprozesse von Substanzen wie Pflanzendünger, Vitamin C oder Kobaltchlorid. Organische Formen verfestigen sich zum abstrakten Bild, Wissenschafts- und Kunstmodelle, Naturformen und Kunstformen hybridisieren. «The Point of Departure» (2002) nähert sich seinem Gegenstand Teppich über Lichtreflexe, organisch-abstrakte Formen, Landschaften von Flusen und Fäden, er rast durch psychedelische Lichtformationen und gleitet langsam entlang floral-abstrakter Muster. Kann man einen Teppich lesen wie einen Text? Bewegen wir uns durch erschliessbare Symbole orientalischer Kultur oder pure Ornamentik? de Rijke / de Rooij senden uns auf eine Reise vom Abstrakten über das Gegenständliche ins Weltall: Am Ende des Films entschwindet der Teppich im unendlich stillen und weiten schwarzen Raum – der Film mutiert zur sphärischen Sciencefiction-Szene im Stil von Stanley Kubricks «2001: Odyssee im Weltraum». de Rijke / de Rooijs “schöne“ Bilder der Ausstellung sind durch “Fremdeinflüsse“ mehrfach gebrochen. Sie kreieren einen Diskurs über unsere Vorstellungen von Abstraktion und Gegenständlichkeit, Ornament und Symbol, Klischee und undefinierter Bedeutung, von Brechungen im zeitlichen und kulturgeschichtlichen Empfinden und Verstehen.

Unser Vermittlungsprogramm wird unterstützt durch die Swiss Re.
Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Mondriaan Foundation, Amsterdam, BLUMENHALLE