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Annette Kelm

24.01.–26.04.2009

Die Fotografien der Künstlerin Annette Kelm (1975 in Stuttgart geboren, lebt und arbeitet in Berlin) scheinen auf unspektakuläre Weise klassische Repräsentationsformen der Fotografie fortzusetzen: Stillleben, Porträts, Objektfotografie, Architektur- und Landschaftsfotografie in moderaten, eher der konventionellen Studio- oder Landschaftsfotografie angelehnten Formaten. Annette Kelm arbeitet klassisch, ihre Fotografien entstehen mit der analogen Grossbildkamera und sind individuelle Handabzüge. Sie macht sowohl Einzelfotos als auch Serien von Bildern über einzelne Motive und zeigt in Ausstellungen immer eine Kombination von Arbeiten, die eine eindeutige Lesart eines Themas oder des Konzepts einer Ausstellung verweigern.

Annette Kelm scheint konzeptuelle und kritische Strategien zu verfolgen, indem sie Objekte, Architektur und Design fotografiert, die auf historisch bedeutungsvolle Zusammenhänge verweisen. Zugleich unterläuft sie das Versprechen der Objektivität ihrer Arbeiten durch das Einfügen von Requisiten, die surreal erscheinen oder einer subjektiven Mythologie angehörend wirken. Im Stil der klassischen Studiofotografie werden die Sujets oft vor einem neutralen Hintergrund präsentiert – dieser ist aber so präsent, dass er Teil des Vordergrunds und der Gegenstände selbst wird.

In den Fotografien Annette Kelms zeigen sich Motive direkt und in frontaler Ansicht; aber die uns bekannten Elemente und Lesarten einer konzeptuellen, inszenierten, dokumentarischen, analytischen Fotografie werden mit einem leichthändigen Zaubertrick ausgehebelt: Reales und Fiktionales, Objektivität und Emotionalität, Gezeigtes und Abwesendes collagieren eine neue Oberfläche von dem, was Bilder sein können, aber vielleicht auch der Realität, die sie abbilden.

In der Kunsthalle Zürich kombiniert die Künstlerin zum ersten Mal in einer institutionellen Ausstellung überhaupt eine Gruppe von mehr als 40 Fotografien unterschiedlichster Motivwelten zu einem Gesamtbild. Die Arbeiten sind ab 2001 entstanden und reichen bis zu neuen, speziell für die Ausstellung entwickelten Werken.

Die Hinterhufe eines Pferdes im Schnee treffen auf eine von der Künstlerin gelabelte Schallplatte, die auf einem farbenfrohen Stoff präsentiert ist. Ein Papagei wird von einer behandschuhten Hand – an die Falkenjagd erinnernd – vor einen nicht ganz adäquaten Pflanzenhintergrund gehalten. Ein Cowboy auf einem Pferd in einer Gartenanlage schwingt einen grossen Fächer wie eine Peitsche, die widersprüchliche Naturevokationen verbindet. Spiegeleier sind zusammen mit Händen zu sehen, die Geld zeigen; oder sie verbinden sich mit einem schiefen Haus, das die Künstlerin im Garten der Monster von Bormarzo, den Vicino Orsini im 16. Jahrhundert in der Nähe von Rom anlegte, aufgenommen hat – das Geisterhaus selbst wird eigentlich nur durch die Zugabe einer bärtigen Frau im Fenster zur Realität. Serien einer Palme in der Nacht, von Ästen eines Orangenbäumchens, von durchlöcherten Schiessscheiben oder dem Porträt eines Mädchens im Kapuzenpulli, dessen verschiedene Blickwinkel auch nicht mehr über die Porträtierte preisgeben, mischen sich mit grossformatigen Reproduktionen von Stoffmustern der amerikanischen Designerin Dorothy Draper, dem Bild der ersten elektrischen Gitarre vor einem afrikanisch anmutenden Stoffprospekt, der in den Niederlanden hergestellt und in Paris gekauft wurde. Ein Wasserglas mit Eukalyptuszweig, das auf einem Hawai-Inselwelten-Stoffmuster steht, das mit dem abgebildeten Gegenstand visuell nahezu verschmilzt, wird durch den Titel After Lunch, trying to built Railway Trails mit Assoziationen aufgeladen: Er verweist auf die gescheiterten Versuche, die ersten Eisenbahnschienen in Amerika mit Eukalyptusholz herzustellen und verwebt so Stoff, Pflanze und historisches Wissen in eine andere Geschichte der Sehnsucht. Die Künstlerin zeigt auch den ersten Wurlitzer, eine mechanische Orgel, die den Übergang von der akustischen zur elektronischen Musikerzeugung repräsentiert. Sie hat das Musikinstrument mit einer Miró-Grafik, die sie selbst vor Ort an die Wand klebte, in einem Musikinstrumentenmuseum aufgenommen. Andere reale Orte kommen in Architekturfotografien vor: so Ennis House (Ennis-Brown House) von Frank Lloyd Wright aus dem Jahr 1924, in dem Teile von Blade Runner gedreht wurden und das sie in zwei Varianten zeigt; einer Tages- und einer Nachtversion, wobei die Nacht nicht Nacht ist, sondern im Labor hergestellt wurde.

Annette Kelms Arbeiten zeigen sowohl ein Interesse an historischen Zusammenhängen, der Geschichte des Industriellen, Handwerklichen und am Design als auch an Fragen nach dem Artifiziellen und der Mehrdeutigkeit, die kulturelle Erscheinungen historisch erfahren haben. Ihre sachlich wirkenden, zwischen Präzision und Ambiguität oszillierenden Fotografien senden ihre Motive in ein weit verzweigtes Netz von Bezügen visueller wie inhaltlicher Art, in denen konstruktive Konflikte zwischen dem Gezeigten und Gemeinten, dem Gewussten und Gesehenen entstehen und so das Sehen wichtiger wird als das Wissen.

Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Luma Stiftung