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Reading Rämistrasse #60: Viktor Hömpler zu Pascale Birchler im Projektraum der Galerie Peter Kilchmann - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #60: Viktor Hömpler zu Pascale Birchler im Projektraum der Galerie Peter Kilchmann

Mit dem Titel ihrer Ausstellung im Projektraum der Galerie Peter Kilchmann führt Pascale Birchler eine der literarischen Schwergewichtsreferenzen schlechthin ins Feld: Der Rest ist Schweigen zitiert Prinz Hamlets letzte Worte vor seinem Tod in Shakespeares gleichnamiger Tragödie und lädt die erste Präsentation der Künstlerin in der Galerie bedeutungsvoll auf. Durch den Durchgang von den Haupträumen zum kleinen Projektraum sind zwei menschliche Figuren zu sehen. Die eine steht als Skulptur aus Keramik vor uns, die andere sitzt in einer grossformatigen Aquarellzeichnung am Boden einer kargen Höhle.

Mit dem Titel ihrer Ausstellung im Projektraum der Galerie Peter Kilchmann führt Pascale Birchler eine der literarischen Schwergewichtsreferenzen schlechthin ins Feld: Der Rest ist Schweigen zitiert Prinz Hamlets letzte Worte vor seinem Tod in Shakespeares gleichnamiger Tragödie und lädt die erste Präsentation der Künstlerin in der Galerie bedeutungsvoll auf. Durch den Durchgang von den Haupträumen zum kleinen Projektraum sind zwei menschliche Figuren zu sehen. Die eine steht als Skulptur aus Keramik vor uns, die andere sitzt in einer grossformatigen Aquarellzeichnung am Boden einer kargen Höhle. Der kostümierten Figur in der Zeichnung (Untitled, 2021), die ein enganliegendes Textil und Halskrause trägt, steht das Tragische ins Gesicht geschrieben. Entleert ist ihr Blick, der aus dem Bild hinaus unbestimmt in den sandfarbenen Ausstellungsraum zu gleiten, dort aber nie anzukommen scheint. Ihrer Stiefel hat sie sich entledigt, vielleicht schon vor langer Zeit: was wir sehen, lässt weniger einen schicksalshaften Konflikt, sondern Ermüdung vermuten – Performance-Fatigue in grau in grau in grau. Hinter dem Rücken der Figur öffnet ein Rundbogen den Blick aus der Kargheit hinaus auf eine diffuse Tiefe, in der seichte Hügel eine Landschaft vor einem in goldgelb gehüllten Himmel andeuten. Von seiner Wärme scheint die Figur gänzlich unberührt.

Im Ausstellungsraum setzen die beige-sandfarben Wände und ein schwerer gleichfarbiger Vorhang im Einklang mit dem hellen Holzboden und einigen am Boden verteilten Strohhalmen eine Grundtonalität, die dem Raum etwas Weiches, Erdendes verleiht. Zugleich löst die formal stringente Gestaltung den Raum aus seiner Umgebung heraus. Neben der Aquarellzeichnung und der Skulptur ist ein gläsernes Wandregal zu sehen, auf dem sich eine Handtasche und ein Messer befinden. In der verdichteten Atmosphäre des Raumes bilden die drei Arbeiten Birchlers ein Ensemble, ohne ihre jeweilige Eigenständigkeit einzubüssen. Die Skulptur gibt vor, eine Art Doppelgängerin der Figur in der Aquarellzeichnung darzustellen. Deutlicher als ihre Bekleidung, ähnelt sich das körperliche Aussehen der beiden Figuren von der schlanken Statur über die Gesichtszüge bis zur Frisur und fordert ein vergleichendes Sehen mit Blick aufs Detail. Knapp eins achtzig gross, aufrechtstehend, die Arme am Körper senkrecht angelegt, trägt die Figur im Raum Teile einer Beinrüstung aus Schuhen und Schienen. Ein leichtes, weisses Top schmiegt sich ärmellos an den schlanken Oberkörper und die weibliche Brust. Bis knapp über dem Bauchnabel ist der Oberkörper in einem hellen Hautton gearbeitet, während sich die Körperpartie darunter graufarben und bis zur Rüstung an den Beinen entblösst zeigt. Anstelle eines Geschlechtsorgans offenbart sich hier die Geschlechtslosigkeit einer Schaufensterpuppe. Die Augen der Figur sind geschlossen. Aus ihrem leicht geöffneten Mund geht eine lange silberfarbene Zunge hervor, die sich der Figur zu bemächtigen scheint. Als Monstrosität verunmöglicht sie die Sprache und lässt Worte in der Kehle verenden. Der Rest ist Schweigen (The Rest is Silence), 2021, lautet der Titel dieser Arbeit.

Etliche wechselseitige formale Bezüge lassen den Blick zwischen den Arbeiten hin und her wandern. Mit ihnen scheint uns Birchler auf eine Hamlet-Exegese schicken zu wollen: Auf Hamlets verhängnisvollen Dolchstoss durch einen Vorhang, mit dem eigentlich der Vatermord gerächt werden sollte, scheinen das bläulich schimmernde Messer und der Vorhang zu deuten. Wiederholt wird in den Monologen und Dialogen der Tragödie die Zunge als Sprachwerkzeug erwähnt. Frei nach Shakespeare: Ein Mord, der keine Zunge habe, aber mit wunderschönen Stimmen spräche. Oder aber: Allem einen Sinn, doch keine Zunge geben. Ohne eine zusammenhängende sinnstiftende Erzählung scheint Birchler Verweise, Motive, Themen und Fragen der Tragödie, die von sprachloser Verzweiflung, Sinnsuche, Liebe, Wahnsinn, Rache und Tod handelt, wie König Hamlet durch den Raum geistern zu lassen. Dabei arbeitet die Künstlerin mit Veruneindeutigungen und Irritationen auf verschiedenen Ebenen. So spielen die Figuren über ihr Aussehen, das von den einen eher weiblich, von den anderen vielleicht verstärkt androgyn ausgelegt wird, mit Zuschreibungen von Geschlecht und seiner binären Konstruktion. In der Wirkung der Figuren behauptet sich eine Unbestimmtheit, die einen Drang nach Lesbarkeit ins Leere laufen lässt. In gleicher Weise scheint auch die Frage, ob sich Birchler auf einen weiblichen Hamlet bezieht, wie die Figur sowohl in kleinen Teilen der Forschung zum Hamlet-Stoff verstanden oder zuweilen in Film und Theater entworfen wird, merkwürdig deplatziert. Möglicherweise interpretiert die Künstlerin auch Hamlets eigene vieldeutige Verwandlung in Shakespeares Tragödie, möglicherweise aber lässt sich daran auch zweifeln. Auf grundlegende Weise bleibt unbestimmt, wie, wo und in welcher Zeit sich Birchlers Figuren verorten lassen. Während das Top der Skulptur eher zeitgenössisch wirkt, assoziieren wir mit Blick auf ihre ritterliche Beinrüstung vergangene Jahrhunderte, fantastische Welten oder die jüngste Modekollektion von Balenciaga, in der eben solche Beinrüstungen kurioserweise die Vision der Mode von 2031 prägen. Balenciaga bringt als Referenz dafür eine Jeanne d’Arc von heute in Stellung. Konfrontiert uns auch Birchler gar nicht mit Figuren, die sich über Denkschleifen auf Hamlet beziehen lassen, sondern mit einer Interpretation Jeanne d’Arcs, deren Leben auch von Shakespeare literarisch verarbeitet wurde? Birchlers nur im Ansatz für einen Kampf gerüstete Figur lässt auch diese Frage unbeantwortet im Raum stehen.

Pascale Birchlers Anspielungen und Verdrehungen laden zum Ausdeuten in unterschiedlichste Richtungen ein, wodurch sich die Schwergewichtsreferenz Shakespeare letztlich als leichtfüssige Finte entpuppt. Sie lädt das Geschehen auratisch und mehrdeutig auf, ohne dass sich die Ausstellung auf sie verpflichtet. Vielmehr richtet sie sich, mit einem elegant gewählten Titel, auf hintersinnige Weise als eine Art Metakommentar an eine zentrale Eigenschaft bildender Kunst: ihre genuine Nicht-Sprachlichkeit. Kunst kann nonverbal kommunizieren, wobei sie schweigt, ohne stumm zu sein. Mit dieser Qualität unterhält sie ein komplexes Verhältnis zur Sprache, der sie mit eigenen Mitteln des Ausdrucks und Zeigens entgegentritt. Auf das Schweigen als spezielle Form der Kommunikation wird in der Kunst als Potenzial und Geste seit jeher Bezug genommen: von frühneuzeitlicher Malerei, in der Figuren mit dem Zeigefinger zum Schweigen appellieren bis zur vermeintlichen Stille John Cages. Auch Birchler operiert mit dem Schweigen in unterschiedlicher Form. Während die Zunge im Akt des Schweigens normalerweise ruht, scheint sie bei Birchlers Figur monströs zu wuchern. Etwas zu sagen, ist der Figur auch gerade deshalb nicht möglich. Was sich hier stattdessen ausdrückt ist paradox, kann aber auch nicht als Schrei der Stille – eine mögliche ästhetische Auslegung des Schweigens – beschrieben werden. Rätselhaft schweigend bleiben in ihrer Noblesse auch die dunkelrote Handtasche und das Messer auf dem Wandregal aus gelb bemalten, gebranntem und an der Unterkante wellenförmig geschwungenem Glas, das die Illusion eines Tuchs hervorzurufen versucht. Ein zugezogener Reissverschluss verbirgt das Innenleben der Tasche, an deren Vorderseite ein Band sowie ein Schloss hängen, wobei letzteres unterstreicht, dass hier etwas verschlossen bleibt. Mit dem Titel des Arrangements aus Glas, Tasche und Messer, Sommer 1999 (Summer 1999), 2021, streut Birchler wiederum eine Prise Banalität in das Geschehen, klingt das Ganze doch nach der Beschriftung eines Foto-Albums oder eines Mixtapes. Doch die Objekte schweigen weiter, während unsere Assoziationen ihren potenziell endlosen Lauf nehmen.

Wie eine eindrückliche Aussage vor dem Schweigen hallt die Ausstellung nach dem Verlassen der Galerie nach. Dabei sind es weniger die versprachlichten inhaltlichen Assoziationen und Fragen, die hier noch wirken. Es ist vielmehr die Erfahrung, wie eine spannungsvolle Verdichtung in einem atmosphärisch konzentrierten Raum Kunst in ihrer besonderen nicht-sprachlichen Qualität verstärkt spürbar hervortreten lässt. Obwohl vom Schweigen auch viel gesprochen wird, hat es hier auf eine reizvolle Weise Bestand, die ästhetisch erfahren werden will.

Pascale Birchler, Der Rest ist Schweigen, Galerie Peter Kilchmann, Zahnradstrasse 21, 8005 Zürich

11. Juni – 24. Juli 2021

Ausstellungs- und Werkansichten: Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich, Fotos: Sebastian Schaub

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