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Tobias Madison: Ein anderes Dreikörperproblem - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Tobias Madison: Ein anderes Dreikörperproblem

Wir haben den in New York lebenden Schweizer Künstler Tobias Madison, ein Filmkenner und Bewunderer von Wang Bing, angefragt, seine Sicht auf die beiden Filme zu schildern.

Ein anderes Dreikörperproblem

von Tobias Madison

Was bedeutet es denn überhaupt , einen Körper zu haben – ohne Fragezeichen formuliert – , scheint ein zentrales Anliegen des Man with No Name zu sein, wobei wir nicht erfahren, wer dieser Mensch ohne Namen ist: der Betrachter, der Filmemacher Wang Bing oder doch der Einsiedler, dem wir über die 99 Minuten folgen.

Wenn wir Filme schauen, schauen wir ja nicht Anderen zu, sondern Anderen die Anderen zuschauen.

Rätselhaft ist an dieser Figur des Einsiedlers zunächst einmal nichts. Er scheint hauptsächlich dem Selbsterhalt verpflichtet zu sein, beschäftigt mit dem Anlegen von Äckern zwecks Nahrung, mit der Zubereitung ebendieser Nahrung, mit dem Errichten und dem Erhalten mehrerer Behausungen. Der Film, der im Winter beginnt, fächert sich als Fallstudie dieser Tätigkeiten über vier Jahreszeiten auf, sodass er am Ende wieder von vorne beginnen kann. Was also bedeutet es denn nun, einen Körper zu haben?

Verstehen wir die Sequenz an Tätigkeiten dieses Einsiedlers als etwas Universelles, als einen gemeinsamen Nenner, den sämtliche (beteiligte) Körper teilen. Durch den augenscheinlichen Selbsterhalt ist die Figur als kinematographisches Mittel an den Filmemacher gebunden, dessen Am-Leben-bleiben ist parallel zum Am-Leben-bleiben des Filmes zu verstehen, welches die Anwesenheit des Filmemachers voraussetzt. Also kriecht der Filmemacher in den intimen Innenraum einer Höhle, weil er selbst bis auf die Knochen friert und nicht weil er ein besonders intimes Porträt des in der Höhle lebenden Einsiedlers erstellen möchte? Nicht ganz, ausser vielleicht, dass jeder Film gezwungenermassen auch die Dokumentation seiner eigenen Herstellung ist: Nach rund 32 Minuten kommt eine Sequenz, bei der Wang Bings Körper mit der Kamera diesem anderen Körper – des namenslosen Mannes – den geplanten Fussweg durchkreuzt undeine Mikrosekunde der Irritation erzeugt, die sich sofort in ein elegantes Ausweichmanöver beiderseits auflöst. Manchmal bedeutet, einen Körper zu haben einfach im Weg zu stehen, respektive den Raum auszufüllen. Jener, der im Cinema Verité nicht existieren dürfte: Der Raum des Kameramannes, der durch eine Fliege an der Wand ersetzt würde. Einige Minuten später, im Sommer, der Filmemacher steht erneut im Wege der Sonnenstrahlen, folgen wir seinem Schatten am unteren Bildrand, respektive dem Einsiedler, der die 15 Minuten vorher gesäte Ernährung erntet.

Wang Bings Kino ist eines der Konstellationen – vergleichbar mit einem Planetensystem, in dem die Gestirne in unterschiedlicher Gravitation zueinander stehen – die Präsenz der Kamera ist als gegeben verstanden und Teil einer Gleichung mit Betrachter und Subjekt des Filmes. Dem Dokumentarischen ist gleichzeitig immer der Ausrutscher daraus heraus inhärent, also eine Tendenz zur Instabilität, beispielsweise wenn auf einmal ein domestiziertes Pferd aus dem Bildausschnitt des Einsiedlerlebens (welches ja keines mehr ist, wenn jemand mit einer Kamera anwesend ist) hinausmarschiert und auf einmal das Hupen eines Autos zu hören ist. Dennoch ist genau diese Instabilität so relevant für Wang Bings Kino, weil sich daraus eine Ethik formulieren lässt, weil einen Körper zu haben auch bedeutet, sich der Kräfte auf die umgebenden Körper bewusst zu sein.

Eine Sequenz aus ’Til Madness Do Us Part (2013) (ein Film, der in der Kunsthalle Zürich nicht zu sehen ist): eine gerade Einstellung in eine Zelle einer psychiatrischen Anstalt. Ein Insasse fuchtelt verzweifelt mit einem Schuh den Wänden seiner Zelle entlang, um eine Fliege zu töten, während zwei andere Insassen auf eine rhythmisierte Weise das Ganze aus ihren Betten heraus kommentieren. Die Szene gleicht gleichzeitig einer existentialistischen Theaterszene und einem Dokumentarfilm der Fly-On-The-Wall Technik verschrieben, bei der reelle Situationen ohne Interaktion mit der Kamera gedreht werden. Die Distanz der Kamera und die geringe Auflösung des HD-Formates machen es für den Betrachter unmöglich, die Fliege tatsächlich zu sehen und so hängt die ganze Spannung der Szene daran, dass wir nicht wissen ob die Fliege im Raum existiert oder doch nur im Kopf des Insassen. Doch nach rund 10 Minuten landet die Fliege auf dem Objektiv der Kamera und bewegt sich als schwarzes, unscharfes Etwas im Bildraum auf und ab. Der Körper mit der Kamera bewegt sich daraufhin auf den Insassen zu, um ihm die Fliege auf dem Objektiv zu zeigen und diesen aus seiner Ergriffenheit zu erlösen.

Derartige «Stotterer», die den filmischen Raum aus dem Gleichgewicht bringen, könnten ja auch Messeinheiten sein, mit denen wir die Distanz zwischen allen beteiligten und hypothetisch beteiligten Körper vermessen können, zumindest wenn wir das Kino auch als ein Navigationsgerät verwenden wollen. Als eine Karte für den medialen Raum und für die darin stattfindenden Beziehungen, zu einem Zeitpunkt, an dem diese Beziehungen drohen, nicht mehr zu existieren.

Für Mrs. Fang bedeutet einen Körper zu haben ja auch dessen Endlichkeit, die Tendenz zum Sterben. Daraus entsteht für das Kino ein Dilemma: Der Körper von Mrs. Fang befindet sich bereits zu Beginn des Filmes in terminaler Krankheit, womit die Anforderungen an die Bewegtheit von Körpern, die überhaupt Kino ermöglichen, nicht mehr erfüllt sind. Und so wird dieser Körper stattdessen durch die ihn umgebenden erfasst. Als das Gravitationszentrum einer erweiterten Familie und dem Umgang der Beteiligten mit dem bevorstehenden Tod und der noch existierenden Beziehung – oder eben ein Körper als eine Karte von Beziehungen. Gleichzeitig kann der Film von diesem Zentrum heraus über sich selbst, über seine Tendenz zur Endlichkeit, nachdenken, kreisförmig nach aussen und doch nach innen gerichtet: Die Stromschläge der Elektroruten der Fischer, denen wir im Verlauf von Mrs. Fang immer wieder folgen, beenden die Leben der Flussfische, sie verwenden die Verstricktheit der Fische mit dem Wasser als Medium für deren Tötung. In einem Dorf, dessen Ökonomie auf der Fischerei aufbaut, brauchen die Körper natürlich die Fische, um am Leben zu bleiben. Und Wang Bing benötigt das Bild der Tötung der Fische nicht nur, um eine Verstrickung der Körper mit dem Fluss aufzuzeichnen, sondern weil das Bild, respektive dessen elektrische Bewegtheit wie ein Ersatz für die Absenz von lebendiger Bewegtheit in Mrs. Fangs Körper ist. Demnach ermöglichen die Stromschläge, dass wir noch etwas länger in die leeren Augen von Mrs Fang schauen können und uns dabei nicht langweilen, wenn die leeren Augen etwas länger an der Kamera vorbei starren.

Dieses Am-Betrachter-Vorbei-Starren, während dieser in die Augen hineinschaut ist von Bedeutung, weil sich daran modellhaft das grössere Projekt von Wang Bing ablesen lässt. Ein Projekt, das darüber nachdenkt, was es denn bedeutet, sichtbar zu sein oder zu verschwinden.