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Modernistische Künstlercafés in Tbilisi - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Modernistische Künstlercafés in Tbilisi

«Tbilisi wurde fantastisch. Eine fantastische Stadt braucht eine fantastische Ecke», schreibt der georgische Autor und Theoretiker Grigol Robakidze über das Tbilisi zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit den «fantastischen Ecken», auf die er sich bezieht, sind die Künstlercafés Tbilisis gemeint: Es sind Orte, an denen die kreativen Energien dieser Zeit zusammenkamen...

Text von Tea Tabatadze

Modernistische Cabarets, Klubs, und Cafés waren weit verbreitete und damit wesentlicher Bestandteil der europäischen Moderne. Als Treffpunkt der Avantgarde entstand dort eine Lebenswelt, in welcher sich moderne Vorstellungen und Perspektiven etablieren konnten.

Die Geburtsstunde des Cafés und der Kaffeehauskultur war 1881 als Rodolphe Salis im Pariser Montmartre sein Cabaret «Le Chat Noir» gründete. Es kam zu einer regelrechten «Cabaret-Epidemie», die sich bis in die 1920er Jahre über ganz Europa verbreitete. Zu den berühmtesten Cabarets zählten «Elf Scharfrichter», «Simplicissimus» und «Schall und Rauch» in München und Berlin; das dadaistisch geprägte «Cabaret Voltaire» in Zürich, sowie weitere Cafés in St. Petersburg, Moskau, und Strassburg. Die «Cabaret-Epidemie» erreichte 1917 auch Tbilisi und dauerte gut vier Jahre, bevor Georgien vom bolschewistischen Russland eingenommen wurde. Georgien wurde in diesen Jahren zum Zentrum avantgardistischer Kunstströmungen und somit Teil der europäischen Moderne.

Berühmte Künstlerinnen und Künstler malten die Innenräume der Künstlercabarets und -cafés aus. «Pittoresk» in Moskau wurde 1910 von Vladimir Tatlin und B. Yukalov gestaltet und das Café «Streunender Hund» in St. Petersburg 1912 von Serge Sudeikin und M. Kulbin. Das letzte de Stijl-Projekt in Strassburg, die Gestaltung des «Café de L’Aubette» von 1926, geht auf Theo van Doesburg, Sophie Taeuber und Hans Arp zurück.

In Tbilisi wurden die Wände dreier Cafés dekoriert: «Die Fantastische Taverne» wurde 1917 von Lado Gudiashvili, Ilya Zdanevič, Sergei, Alexander Petrakovsky, Iakob Nikoladze und Yuri Degen ausgemalt. Das «Boot der Argonauten» wurde 1918 von Kiril Zdanevič, Lado Gudiashvili und Bazhbeuk-Melikhov gestaltet, während Sergei Sudeikin, Lado Gudiashvili und David Kakabadze die Wände des «Kimerioni» 1919 ausmalten. Nur wenige dieser Wandbilder haben überlebt. Dazu gehört das Wandgemälde La Couple (1928) in Montparnasse, Paris, sowie zwei Gestaltungen in Tbilisi. Vom «Boot der Argonauten» ist ein Teilstück eines Gemäldes von Kiril Zdanevič erhalten geblieben.



Erhaltenes Wandbild von Kiril Zdanevič im Künstlercafé «Boot der Argonauten».


Detail, Wandbild von Kiril Zdanevič im Künstlercafé «Boot der Argonauten».


«Boot der Argonauten» in Tbilisi.

Die Wandbilder des «Kimerioni» sind fast vollständig erhalten. In Anbetracht der wenigen Wandgemälde, die überlebt haben, ist es umso bemerkenswerter, dass sich zwei davon in Tbilisi befinden.


Wandbild im «Kimeroni», Tbilisi.


Wandbild im «Kimeroni», Tbilisi.


«Kimeroni», Tbilisi.

«Tbilisi wurde fantastisch. Eine fantastische Stadt braucht eine fantastische Ecke», schreibt der georgische Autor und Theoretiker Grigol Robakidze über das Tbilisi zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit den «fantastischen Ecken», auf die er sich bezieht, sind die Künstlercafés Tbilisis gemeint: Es sind Orte, an denen die kreativen Energien dieser Zeit zusammenkamen. Hier wurden Kunstwerke nicht auf Gemälde oder Zeichnungen reduziert; hier fanden Poesie- und Dichterlesungen statt, es gab musikalische Darbietungen, Theaterauftritte und einen leidenschaftlichen Austausch über Kunst und Politik. Die georgischen Symbolisten organisierten dort ihre «poetischen Abende». Ilya Zdanevič präsentierte seine ersten dadaistischen Experimente und Nikolai Evreinov trug zum ersten Mal sein berühmtes Theaterstück Chefsache vor. Und es war der Ort, an dem Welimir Chlebnikow seine Überlegungen zur transnationalen Sprache «Zaum» anstellte.


Während sich die avantgardistische Szene üblicherweise in kleinere Kreise enger Verbündeter aufspaltete, um sich von den anderen abzugrenzen, liessen die Künstlercafés in Tbilisi grenzüberschreitende Gemeinschaften entstehen. Symbolisten und Futuristen sassen gemeinsam am Tisch, besuchten dieselben Treffen, produzierten zusammen Zeitungen und Bücher und nahmen an denselben avantgardistischen Darbietungen teil. Dieses Entstehen einer Gemeinschaft war aussergewöhnlich und veranschaulicht zugleich die Toleranz, die zu der Zeit im Alltag und in der Kultur Tbilisis gegenwärtig war.